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Von Melanie

Mit 20 war ich mir sicher, dass das Leben leicht zu meistern ist. Mit 30 habe ich gemerkt, dass das nicht der Fall ist. Das mag wie eine düstere Verkündigung klingen, aber ich verspreche euch hiermit, das ist es nicht. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass es ein Zeichen der Reife ist, wirklich erkannt zu haben, was für ein Chaos das Leben immer sein wird.

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Frisch aus der Uni, als ich das erste Mal in einem hübschen Büro arbeitete, hatte ich das Gefühl, dass ich genau wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich hatte eine „gute“ Uni besucht und einen „guten“ Job bekommen und war mit einem großen, gutaussehenden Kerl zusammen, der ebenfalls ein „gutes“ Leben führte und aus einer „guten“ Familie stammte. Easy peasy!

Im Laufe von drei zunehmend anstrengenden Jahren wurde mir immer klarer, dass ich in vielen Dingen falsch lag. Ich sah, dass meine Seele an einen Job gefesselt war, in dem ich mich zusehends seelenlos fühlte, egal wie viel sie mir bezahlten, und dass ich von Menschen umgeben war, deren Position ich nie werde erreichen können. Nachdem ich mein Kissen zu viele Nächte hintereinander in Tränen getränkt hatte, kündigte ich meinen Job ohne konkrete Zukunftspläne. Mit 27 wusste ich lediglich, dass ich nie wieder einen Blazer tragen wollte, aber darüber hinaus war ich ziemlich ahnungslos, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen wollte.

Ich war mir dennoch absolut sicher, dass es durchaus möglich sein würde, durch Selbstbeobachtung und harte Arbeit mein Glück finden zu können. Ich glaubte aufrichtig, dass ich einen Punkt erreichen würde, an dem ich mich mit allen Aspekten des Lebens zufrieden fühlen würde.

Ich würde eine erfüllte Karriere in einem neuen Bereich machen und mich mit dem richtigen Mann niederlassen und unser meist friedliches, bereicherndes Leben würde sich im Laufe der Jahre wie ein schöner Schmetterling entfalten. Ich war nicht dumm, ich wusste, dass es auf dem Weg Hindernisse geben würde, aber ich erwartete, dass sich die sprichwörtlichen Sterne für mich ausrichten würden, solange ich mich nur genug anstrenge. Ich fühlte mich zum Glück berufen, könnte man sagen.

Ein Jahrzehnt später könnte ein Außenstehender, der meine Umstände bewertet, argumentieren, dass ich meinen Weg tatsächlich gefunden habe. Der Prozess, mich als Journalistin zu etablieren, war keineswegs einfach, vor allem nicht ohne einen journalistischen Abschluss, einer Schlagzeile, oder irgendwelcher Branchenverbindungen. Aber ich habe es geschafft. Ich bin zudem auch in einer ernsten, liebevollen Beziehung mit einem Mann, den ich wirklich liebe.

Mittlerweile bin ich mir jedoch sehr sicher, dass ich mein Chaos nie komplett geklärt bekomme werde. Ich sehe, dass das Gefühl von Stabilität und Sicherheit, von dem ich einst annahm, dass ich darin eines Tag baden würde, niemals kommen wird. Ich lernte, dass es naiv ist, von einer geregelten Existenz in einer chaotischen Welt zu träumen. Ich weiß jetzt, dass, wenn man ständig danach strebt, man sich vielleicht nie wirklich zufrieden fühlen wird. ich weiß jetzt, dass, wenn man sich an grandiose Visionen klammert, wie das Glück auszusehen hat, es nicht im Alltag gar nicht sichtbar wird.

Die Sache ist die: Niemand lebt ein perfektes Leben. Niemand. Nicht mal dein unglaublich schöner, charmanter Freund, der immer genau zu wissen scheint, was er zu sagen und wie er zu handeln hat. Nicht dein Mentor. Nicht deine Eltern. Nicht dein Bruder oder deine Schwester.

Shonda Rhimes, formulierte es einst sehr treffend:

„Wenn ich mich an einem Skandal-Artikel für die Arbeit abrackere, verpasse ich wahrscheinlich derweil die Bade- und Geschichtenzeit zu Hause bei den Kindern. Wenn ich zu Hause bin und die Halloween-Kostüme meiner Kinder nähe, verpasse ich wahrscheinlich eine Deadline, die ich einhalten sollte. Wenn ich eine prestigeträchtige Auszeichnung annehme, verpasse ich die erste Schwimmstunde meines Babys. Wenn ich bei der Premierer meiner Tochter in ihrem Schulmusical bin, verpasse ich Sandra Oh’s letzte Szene, die jemals in Grey’s Anatomy gedreht wurde. Wenn ich bei dem einen Erfolg habe, scheitere ich bei dem anderen…. Du fühlst dich nie hundertprozentig, verstehst du?“

Wir leben in einer Kultur, die darauf fixiert ist, Dinge über uns selbst herausfinden zu müssen. Selbsthilfegurus nutzen unseren schmerzhaften Wunsch, ein „besseres“ Leben führen zu müssen, gnadenlos aus. Wir geben Milliarden pro Jahr aus, um dünner zu werden, mehr Geschäftssinn zu entwickeln, weniger gestresst und besser organisiert zu sein. Wir nehmen Modeerscheinungen, Fitnesstrends, „revolutionäre“ Schönheitslösungen, motivierende Sprüche und reinigende Kristalle für uns an. Wir konsultieren die Tierkreis-, Hellseher- und Persönlichkeitsexperten für Antworten auf unbeantwortete Fragen. Wir haben professionelle Ziele, Beziehungsziele und sogar Gruppenziele.

Zugegeben, ich liebe ein inspirierendes Zitat so sehr, wie einen Liter Schokoladeneis. Ich glaube auch von ganzem Herzen daran, das zu tun, was man tun muss, um sich im täglichen Leben ein wenig besser zu fühlen. Sei es beim Spinning, Entsaften, Lesen des Horoskops oder beim Aufräumen. Aber je älter ich werde, desto mehr beunruhigt mich unsere Besessenheit von der Selbstvervollkommnung, die in der gefährlichen Annahme verwurzelt zu sein scheint, dass es sogar möglich ist, aus Scheiße Gold zu machen. Ich mache mir Sorgen, dass die unendliche Suche nach persönlicher Erfüllung unseren Herzen, Psychen und Brieftaschen mehr schadet als nützt.

Lassen uns übergroße Erwartungen letztlich nicht unzufriedener zurück, als das sie uns anspornen? Erschöpfen sie uns nicht mehr, als das sie uns motivieren? Unterdrücken sie uns nicht mehr, als das sie uns glücklich machen?

Das Leben ist eine Reihe von Erfahrungen – gute und schlechte  – für uns alle. Man kann alles erreichen, was man sich für ein perfekt erfülltes Dasein wünscht, die „Experten“ kommen aus allen Richtungen, aber man wird das perfekte Leben trotzdem nicht finden. Je eher du dich von vorgefertigten Ideen darüber, wie dein persönliches Glück aussieht, trennst, desto eher kannst du es sehen, wo es wirklich lauert – in der morgendlichen Tasse Kaffee oder einem schnellen Stirnkuss von deinem Schatz.

Die Wahrheit ist, dass es kein perfektes Leben gibt und wisst ihr was?  Das ist okay, in der Unperfektion liegt das Glück. Man muss nur hinsehen.

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