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Die sog. „Mommy Wars“ beendeten meine beste Freundschaft. Das Besondere daran ist, dass wir beide zu dem Zeitpunkt noch keine Mamas waren und die Debatte rein hypothetisch war.

Lass mich von vorne anfangen. Julia und ich wohnten im gleichen Studentenwohnheim. In dem Moment, als wir uns trafen, schleppten unsere Eltern gerade Bücherregale und Computer in unser Zimmer. Julia hob ihre Augenbrauen und flüsterte: „Lass uns eine Zigarette rauchen.“ Sie hatte die wunderbare Eigenschaft, die Situationen mit ihrem Humor  zu beflügeln. Jeder, der je mit ihr gesprochen hat, fand sie sofort witzig und klug. Mit Julia eine Pizza zu essen konnte zum spaßigsten, beruhigendsten und unterstützendsten Teil des Tages werden. Wir haben uns gegenseitig die Konflikte mit unseren Familien anvertraut, besonders die mit den Müttern, die uns aufgezogen haben, und den Vätern, die zwar anwesend, aber distanziert waren. Wir brachten uns gegenseitig durch den schlimmsten Liebeskummer. Sie hat mich durch sehr schwierige vier Jahre begleitet.

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Und dann endete das Studium und wir gingen zusammen durch den nächsten Lebensabschnitt. Wir arbeiteten in Niedriglohnjobs, nur um die Miete zu bezahlen. Wir hatten immer noch Liebeskummer. Unser vorheriges, aufregendes Leben entwickelte sich zu Gesprächen über lausige Männer und Büroarbeitsplätze.

Ich liebte an Julia immer ihren Enthusiasmus – sie stützte sich Hals über Kopf in neue Dinge : Pearl Jam. Stefan Radolski. Ein junger Mann, den sie auf einer Zugfahrt kennengelernt hatte und drei Jahre mit ihm zusammenlebte. Aber als wir beide langsam auf die 30 zugingen, wurden ihre Leidenschaften immer seltsamer. Es war, als ob sie sich nur noch für IHRE Dinge interessierte: Bio-Landwirtschaft, Bio-Kosmetik,  Essig anstatt Deo. Yoga.

Und dann wollte sie plötzlich unbedingt Mama werden. Außerdem war sie der Überzeugung, dass Mütter nicht arbeiten gehen dürfen, sobald das Kind da ist. Es gab kein anderes Thema mehr.  Sie fing an, einen gemeinsamen Freund von uns zu daten, einen Mann, den wir beide in der Schule kennengelernt hatten. Sehr früh drängte sie ihn, zuzustimmen, dass, wenn sie beide heiraten würden, sie mit den Kindern zu Hause bleiben würde. Der Mann war natürlich sehr verwundert, warum er plötzlich über so hypothetische Dinge nachdenken sollte, zumal sie sich ja kaum kannten. Beim zweiten Date.

„Ich möchte einfach nicht weiter in diese Beziehung investieren, es sei denn, wir sind ideologisch auf derselben Seite“, sagte sie zu mir, als ich sie fragte, was denn plötzlich mit ihr los sei.

„Du kannst doch beim zweiten Date nicht solche Sachen fragen, das macht ihm doch Angst!“, sagte ich. „Sowas findet man im Laufe der Zeit doch gemeinsam raus, findest du nicht?“

„Ich möchte es jetzt herausfinden“, sagte sie. Und so fuhr sie fort, unseren Freund permanent auf die Folgen ihrer weiteren Beziehung anzusprechen, obwohl er sie bat, sich doch bitte erstmal näher kennen zu lernen, bevor sie über Kinder sprechen.

Julia und ich stritten plötzlich immer wieder. Sie kam, um mich zu besuchen, und brachte mir ein Exemplar eines antifeministischen Buches mit, ein Buch, das angeblich genau beziffern sollte, dass viel Arbeit sich für Mütter nicht „lohnte“. Sie schien in diesem Thema fanatisch zu sein – und sie schien wild entschlossen zu sein, sich über dieses Thema zu streiten. Ehrlich, ab und an zu streiten ist o.k. aber dieser Druck hat mich über die Monate regelrecht müde gemacht.

Schließlich musste ich ihr sagen: „Schau, ich kann über dieses Thema nicht mehr reden. Bitte beachte dabei, dass unsere beiden Mütter berufstätige Mütter waren und das hat uns doch nicht geschadet. Ich kann einfach nicht mehr darüber reden. Es gibt noch andere Dinge auf der Welt, über die wir sprechen können.“ Und sie sagte im Wesentlichen:“ Dies ist ein aber Thema, das mich begeistert, und ich kann nicht anders, als darüber zu reden.“ Und ich sagte:“ Also gut, aber nicht mehr mit mir!“

Und das war es dann, vor acht Jahren.

Das ist verrückt, oder? Wegen eines Streits eine 15-jährigen Freundschaft so zu beenden? Wenn ich daran zurückdenke, stimme ich zu, es ist verrückt. Ich habe so oft daran gedacht, sie mal anzurufen, ihr zu schreiben und habe mich doch immer innerlich zurück gehalten- nicht wegen der ursprünglichen Argumentation, sondern wegen allem, was dazu geführt hat: Besessenheit von einem ideologischen Thema unter Ausschluss von allem anderen. Die Liebesaffären mit völlig unangemessenen Männern,die sie alle schon direkt heiraten wollte. Sie schwärmte von sexuellen Begegnungen nahezu ekstatisch, auch wenn ich angedeutet habe, dass ich nichts hören möchte. Jede Konversation war wie ein Feuer in fünf Richtungen: Empörung, Depression, Liebe oder Sex.

Die Leidenschaft, die ich in dem Mädchen bewunderte, schien sich in der Frau in Manie zu verhärten, und es war anstrengend. Unsere Unterhaltungen flossen nicht mehr und hüpften an verschiedenen Themen vorbei, unterbrochen von Gelächter. Jetzt bedeutete jede Kommunikation mit ihr eine Anstrengung. Wir waren damals 33 Jahre alt, als wir unsere Freundschaft beendeten. Ich gab auf. Dieser letzte Kampf war nun die Tür, die sich schloss.

Manchmal wünschte ich, die Freundschaft hätte sich lieber im Sande verlaufen, als in diesen abrupten Ende. Im übertragenen Sinne war es ein kindisches Ende von mir, mit dem Fuß aufzustampfen. Ein reiferes Ich hätte vielleicht nochmal einen Versuch gewagt.

Aber alles in allem bereue ich es nicht. Freundschaften sollen inspirierend und tröstend sein, die Dinge sollen sich bewegen und fließen – manchmal braucht einer mehr Aufmerksamkeit; manchmal gibt dir das deine Freundin – du musst das dann im Laufe der Zeit wieder ausgleichen. Wenn sich jedes Gespräch aber monatelang oder jahrelang schwer anfühlt, ist es an der Zeit, zu gehen.

Wir sind jetzt 41 und altern in verschiedenen Städten. Ich habe Kinder, und die damit verbundenen Schwierigkeiten, die Kinderbetreuung und Arbeit in Einklang zu bringen, sind allgegenwärtig. Ich hoffe, sie hat das Leben gefunden, das sie sich gewünscht hat. Zu Hause bei ihren Kindern bleiben, in ihrem Bio-Garten arbeiten und vielleicht immer noch Pearl Jam hören. Ich bin glücklich und ich bin glücklich mit meinen Freundschaften. Ich hoffe, sie ist es auch.

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