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Ein Gastbeitrag von Violetta aus Achim

Es war einer dieser Tage. Der Morgen begann schon turbulent, mein ältester Sohn hörte seinen Wecker mal wieder nicht und kam zu spät zur Schule. Mein mittlerer Sohn hatte schlechte Laune und zu allem Überfluss lies Romy einen bis zum Rand gefüllten Saftkrug fallen. Die Küche schwamm davon, sie hatte ganze Arbeit geleistet. Die Unterlagen auf dem Tisch klebten, die Füße klebten auf dem Boden und überhaupt alles klebte……

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Ich will ehrlich sein: Ich bin total ausgeflippt.

Ich war gerade dabei, das Bad zu putzen und ich bat meinen acht jährigen Sohn darum, doch bitte ein Auge auf seine Schwester zu werfen, er war allerdings so auf sein Lego Ninjago konzentriert, dass er nicht mitbekam, dass seine Schwester eine Szene aus der Titanic in der Küche nachspielte. Als ich das Durcheinander bemerkte, feuerte ich nur so um mich mit allen Klischeesätzen dieser Welt: „Was hast du dir dabei gedacht?“ und „Warum hast du nicht um Hilfe gebeten?“ und „Warum hast du ihr nicht geholfen?“ und „Ihr geht jetzt beide in eure Zimmer!“ und „Ich habe heute keine Zeit für so einen Mist!“

Luis rollte mit den Augen und Romy fing an zu weinen. Mir war auch nach Heulen zumute.

Dann fiel mir etwas auf. Auf dem Boden, unter dem Tisch lag ein Waschlappen, der anscheinend den Saft aufsaugen sollte. In Romys Hand befand sich ein zweiter Lappen.

„Hast du etwa versucht, diese Sauerei aufzuwischen?“ fragte ich sie.

Sie blickte auf und nickte mir mit einem ehrlichen und herzzerreißenden Kopfnicken zu. Eine dicke Träne rollte über ihre Wange.

Sie war viel zu klein, um das gesamte Chaos mit zwei kleinen Waschlappen beseitigen zu können. Sie hatte mir an diesem Tag viel mehr Arbeit aufgehalst, als ich hätte bewältigen können, denn ich stand bereits seit Wochen knietief in Arbeit, weil wir gerade dabei waren das Haus zu renovieren. Aber all das war in dem Moment egal, weil mir plötzlich etwas bewusst wurde…..

In unzähligen Versuchen war ich darum bemüht, Romy unabhängiger werden zu lassen. Ich hatte versucht, ihr beizubringen, sich etwas zu Essen zu holen, wenn sie hungrig war, und ihre dreckige Wäsche in den Korb zu legen, ihr Zimmer aufzuräumen und ihren eigenen Hintern und dreckige Tische abzuwischen. Wenn sie sich ein Glas Saft eingegossen hätte, ohne eine Sauerei zu veranstalten, dann wäre ich beeindruckt gewesen. Aber durch ihren missglückten Versuch, etwas von ganz alleine zu tun, und dadurch ein Chaos sondergleichen zu verursachen, brachte mich das an den Rand der Verzweiflung.

Aber geht es im Leben nicht darum, neue Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen und es wieder zu versuchen? Sicher, sie hat ein Chaos angerichtet. Aber sie hat versucht, unabhängiger zu sein. Und als sie dieses Schlamassel verursacht hatte, versuchte sie in ihrem Rahmen damit umzugehen und es mit ihren Möglichkeiten zu beseitigen.

Alles, was sie tat, war genau das, was ich versucht hatte, ihr beizubringen. Sie soll zu einem unabhängigen Mensch werden, und ich flippe wegen verschüttetem Saft aus. Ein Widerspruch in sich.

Ich glaube, ich bin nicht alleine mit diesem Fehltritt. Ich denke, den meisten Eltern ist das schon mal passiert. Wir sind so in das Chaos und die Arbeit verstrickt, dass wir nicht einen Moment innehalten können, um sehen zu können, was da gerade wirklich passiert ist. Wir wollen, dass unsere Kinder Risiken eingehen, hinfallen und wieder aufstehen, aber wenn sie es dann wirklich tun, und das dann mehr Arbeit für uns bedeutet, vergessen wir, dass Fehltritte einen Großteil der Entwicklung darstellen.

Meine Emotionen wandelten sich innerhalb von Sekunden von Wut und Ärger hin zu Reue und Bedauern.

Ich sammelte mich kurz und atmete durch. Ich hockte mich neben Romy (die übrigens immer noch weinte) und legte meinen Arm um sie. Zuerst stand sie nur da, in ihrer Hand hielt sie immer noch den Waschlappen. Ich sah ihr in die Augen und sagte: „Es tut mir leid, Süße. Ich habe total überreagiert.“

Ich hatte die ganze Situation komplett vermasselt. Ich gebe es hiermit zu. Fakt ist, genau wie Romy versucht hat, sich ein Glas Saft einzugießen und ein Chaos angerichtet hat, genauso habe ich einen Fehler gemacht, indem ich wütend wurde. Eltern machen Fehler. Wir reagieren über und sagen Dinge, die wir eigentlich nicht sagen sollten. Wir irren uns. Denn genauso wie sich unsere Kinder zu Menschen entwickeln, entwickeln wir uns auch zu Eltern. Was den Unterschied ausmacht, ist, wie wir reagieren, wenn wir etwas falsch gemacht haben.

Ich entschuldigte mich bei meiner Tochter, weil ich es ihr schuldete. Und um ehrlich zu sein, bin ich mir gar nicht sicher, ob sie meine Entschuldigung ernsthaft akzeptiert hat. Ich bin nicht sicher, ob das eine neue Lektion für sie war, ihr zu zeigen, wie man sich entschuldigt. Es gibt immer noch so viele Dinge, die ich als Mutter noch nicht weiß.

Nachdem sie sich entspannt hatte, umarmte sich mich jedenfalls, was ich als gutes Zeichen deutete. Als wir uns beide beruhigt hatten, nahmen wir uns einen Eimer und etwas Putzmittel und wischten alles sauber. Und als alles wieder sauber war, half ich ihr, ein Glas Saft einzuschenken.

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