Ein Gastbeitrag von Renate aus Bonn
Ich erinnere mich an jene Nachmittage, an denen meine Mutter todmüde von der Arbeit nach Hause kam. Sie begrüßte uns, zauberte ein schnelles Abendessen und zog sich dann meist für ein Nickerchen in ihr Schlafzimmer zurück. Normalerweise wachte sie pünktlich genug auf, um uns ins Bett bringen zu können. Oftmals mussten wir das jedoch alleine bewältigen.
Gleiches galt für Hausaufgaben. Sie sorgte zwar immer dafür, dass wir sie stets machten aber sie lernte eigentlich nie mit uns zusammen. Sie erwartete schon sehr früh ein hohes Maß an Selbstständigkeit von uns. Ich fing an, mein Mittagessen selbst zuzubereiten, als ich in der zweiten Klasse war. Ich spülte das Geschirr und hielt auch zu dieser Zeit das Haus sauber. Ich passte auf meinen kleinen Bruder auf. Es war so wie es war und ich akzeptierte das.
Aber ich habe ihr das alles auch manchmal übel genommen. Ich verglich meine Mama mit anderen Mamas. Mütter, die Kekse und Obstteller auf den Tisch stellten, wenn ihre Kinder von der Schule nach Hause kamen. Mütter mit makellosen Häusern. Mütter, die zu Schulveranstaltungen kamen, Mütter, die Mitglieder im Elternbeirat waren. Mütter, die niemals müde und die immer gut gelaunt waren (Jedenfalls waren sie das in meiner Vorstellung immer)
Der Witz ist: Meine Mutter war Sonderschulpädagogin, die sich den ganzen Tag mit emotional benachteiligten Kindern beschäftigte – manchmal sogar von ihnen geschlagen oder gebissen wurde. Ich wusste, wie anstrengend ihr Job ist. Ich wusste nur, wie außerordentlich müde sie war.
Und ich wusste auch, dass wir eigentlich alles hatten, was wir brauchten. Meine Mutter hat sich ihren Hintern abgearbeitet, um für uns sorgen zu können. Und obwohl es Zeiten mit finanziellen Belastungen und Sorgen gab, wurden unsere Bedürfnisse immer erfüllt und das sogar trotz der Tatsache, dass meine Mutter sehr wenig finanzielle Unterstützung von meinem Vater erhielt.
Meine Mutter war auch emotional für uns da. Wenn wir uns mit unseren Freunden stritten und am liebsten nie wieder zur Schule gegangen wären, war unser Zuhause immer ein sicherer Ort, wo wir wir selbst sein konnten, wo unsere Gefühle ernst genommen und gesehen wurden und wo wir bedingungslos geliebt wurden.
Trotzdem konnte ich oft nicht anders und wünschte mir etwas anderes, ja sogar manchmal eine andere Mutter. Manchmal war ich wütend auf meine Mutter. Sehr sogar. Konnte sie nicht ein bisschen mehr Energie für uns aufbringen? Konnte sie nicht ein bisschen leidenschaftlicher an unserem Leben teilnehmen? Konnte sie nicht wie all die anderen, lustigen Mütter sein, die ich aus der Ferne so beneidete?
Und warum musste ich so viel tun, um unser Familienleben über Wasser zu halten? Ich wusste schon früh, dass ich schneller erwachsen sein musste, als andere Mädchen in meinem Alter. Ich hatte eine große Verantwortung, die ich bereits in jungen Jahren übernehmen musste. Ich fühlte mich oft, als ob ich das Gewicht der Welt ganz allein auf meinen Schultern tragen musste.
Ich habe fast 30 Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass meine Wut und mein Groll gegen meine Mutter falsch war. Und das passierte nicht nur auf Grunde der Tatsache, dass ich jetzt auch eine Mama bin, und ich mittlerweile weiß, wie unglaublich anstrengend es sein kann, eine Working Mom zu sein.
Der große Unterscheid zu dem Leben meiner Mama ist, dass ich einen Partner habe, der mich unterstützt. Ich kann also eigentlich gar nicht wirklich wissen, wie es für meine Mutter gewesen sein muss, denn ich bin ja selbst nicht alleinerziehend.
Ich weiß nur die Gefühle von damals besser einzuordnen. Ich fühle immer noch den Kummer und die Traurigkeit dieses kleinen Mädchens, das so viel mehr von ihrer Mutter wollte, aber ich hege keinen Groll mehr gegen meine Mutter.
Ich verurteile unsere Gesellschaft, die immer noch den Mythos aufrecht erhält, dass es für Väter in Ordnung ist, ihre Familien zu verlassen. Ich verurteile unser Gerichtssystem, das es Vätern erlaubt einen viel zu geringen Unterhalt zu zahlen. Ich verurteile unsere Regierung, die nur wenige effektive Programme zur Verfügung stellt, um finanziell schwache Alleinerziehende zu unterstützen.
Ich verurteile all diese Dinge – und ich bin sauer. Richtig sauer.
Mama, ich liebe Dich.
Meine Mutter hat hart gearbeitet, so verdammt hart. Sie hat ihr Bestes gegeben. Und sie war eine gute Mutter. Aber sie wurde davon abgehalten, die Mutter sein zu können, die sie wirklich sein wollte, weil sie nicht die Unterstützung bekam, die sie hätte haben sollen.
Selbst jetzt erzählt sie mir oft, dass sie sich wirklich gewünscht hätte, dass sie nicht immer so müde gewesen wäre, sie wünschte, sie wäre ein bisschen mehr wie ich, denn sie findet es toll, wenn ich zu einem Elternabend gehe oder wenn ich mich munter und fröhlich mit den Kindern an die Hausaufgaben setze (Das passiert nicht jeden Tag, aber ich versuche es).
Ich weiß, dass alleinerziehende Mütter unser Mitleid nicht brauchen. Sie alle haben ihre individuellen eigenen Kämpfe und Triumphe im Alltag – und viele sehen anders aus als die meiner Mutter. Aber ich möchte dennoch, dass Alleinerziehende folgendes wissen:
Sei für deine Kinder da. Gib dein Bestes. Liebe deine Kinder so stark du kannst. Biete deinen Kindern emotionale Sicherheit und bedingungslose Liebe – das ist wichtiger als alles andere. Und denke immer daran, dass du nicht zwei Personen auf einmal sein kannst. Oh, und kümmere dich auch um deine eigenen Bedürfnisse, denn kein Elternteil kann immer nur geben.
Meine Mutter war keine perfekte Mutter, aber welche Mutter ist das schon. Mittlerweile weiß ich, dass meine Mama eine unglaubliche Frau ist, die trotz einiger schlechter Karten ein gutes Leben für ihre Kinder aufgebaut hat, und sie musste einige Hürden im Leben überwinden. Diese Kraft und Ausdauer habe ich von ihr gelernt.
Ich bin das Kind einer wunderbaren, alleinerziehenden Mutter, und es tut mir leid, dass ich das jemals in Frage gestellt habe.