Dieser Text kommt von Susanne, sie ist 54 Jahre alt, Hebamme aus Leidenschaft. Sie lebt mit ihrer Familie in Köln.
In der heutigen Geburtswelt tobt ein böser, stiller Kampf. Viele Frauen wissen von Anfang an, wie sie ihr Kind auf die Welt bringen wollen, oft fühlen diese Frauen sich allerdings dazu berufen, missionieren zu müssen, sie behandeln andere Frauen wie verlorene Seelen, denen das Licht gezeigt werden muss. Diese Verurteilungen, die aus diesem Geburtskampf resultieren, bringen andere Schwangere dazu, sich zu schämen oder sich verteidigen zu wollen oder sie enden gar in einer Depression.
Anstatt sich darüber zu freuen, endlich ein gesundes Kind in den Armen zu halten , fühlen sich viele Frauen wie Verräter, weil sie nicht die gleichen Entscheidungen getroffen haben, wie die Frauen aus ihrem Geburtsvorbereitungskurs.
Das ist Quatsch. Jede Frau, die ein Baby zur Welt bringt, verdient es, sich wie eine Göttin zu fühlen und auch so behandelt zu werden, ungeachtet der Schmerzmittel, der Maschinen oder der Spezialisten, die letztlich an der Geburt beteiligt waren. Es ist völlig egal, für welche Art der Geburt sich die Frau entscheidet, es ist IHRE Geburt und IHR Kind.
Kürzlich gab eine Frau in einem meiner Rückbildungskurse offen zu, dass sie unter der Geburt ihres Sohnes eine Epiduralanästhesie hatte. Es waren bereits zwei Monate vergangen und alle gingen davon aus, sie wäre ohne PDA ausgekommen. MIR war das völlig egal, für mich macht es keinen Unterschied, ob man sich FÜR oder GEGEN eine PDA entscheidet. Es muss Frau und Kind gut gehen, das ist alles, was zählt.
Wären da nicht diese andere Frauen aus dem Kurs…..
„Sie hat gelogen? Dann hatte sie ja doch eine PDA! Dann ist es ja kein Wunder, dass sie so wenig Schmerzen hatte! ICH finde, das ist keine natürliche Geburt!“
„Ich wette, sie hatte in Wirklichkeit sogar einen Kaiserschnitt, sie schämt sich aber, das zuzugeben.“
„Ich glaube nicht, dass man jetzt das genaue Sternzeichen ihres Babys bestimmen kann, die Epiduralanästhesie hat wahrscheinlich die WAHRE Geburtszeit verdorben.“ Ich habe das tatsächlich jemanden sagen hören.
Es war mir wirklich egal, dass sie sich für eine Epiduralanästhesie entschieden hatte. Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn ihr Sohn mit 11 Fingern zu Welt gekommen wäre, solange sie beide gesund waren.
Allerdings war es mir nicht egal, dass sie sich dafür schämen musste, eine PDA in Anspruch genommen zu haben und das sie so unter Druck stand und sogar lügen musste.
Als ich mit ihr sprach, brach mir das das Herz. Sie fühlte sich so schuldig, weil sie eigentlich eine Hausgeburt geplant hatte, die dann noch im Krankenhaus endete. Sie hatte das Gefühl, ein Sakrileg begangen zu haben, nur, weil sie sich anders entschieden hatte.
Sie berichtete mir, dass sie sich unter der Geburt für eine PDA entschieden hatte, da sie das Gefühl hatte, dass dies die richtige Entscheidung für sie war. Aber sie wusste auch, dass ihr Umfeld sehr negativ darauf reagieren würde. In meiner Praxis herrscht gerade dieser „Bekomm-dein-Baby-nackt-im-Wald-und-jemand-anderes-tanzt-ums-Feuer-dazu“-Trend. Nicht falsch verstehen: Ich als Hebamme respektiere diesen Wunsch zutiefst, auch wenn ich jemand aus der alten Schule bin und mir zumindest eine erfahrene Hebamme dabei wünsche.
Ich kenne eine befreundete Kollegin, die in einer ganz anderen Stadt lebt, in einem ihrer Kurse wurde eine Mutter wegen einer natürlichen Hausgeburt geächtet. Diese „Geburtsgemeinde“ begehrt die besten Geburtszimmer im örtlichen Krankenhaus und alle hoffen darauf, den fähigsten Anästhesisten zu bekommen.
Wo ist das Problem? WARUM interessieren wir uns so sehr für die Entscheidungen anderer Frauen?
Meinungen sind wie Achselhöhlen; Jeder hat zwei und sie stinken oft. Was würde passieren, wenn wir die Energie, die wir dafür verschwenden, anderen Frauen unsere Meinung aufzudrücken, eher dazu verwenden, sie dazu zu ermutigen, sich auf ihre einzigartige Intuition einzulassen und sie dadurch selbst entscheiden lassen, was für eine Geburt sie haben wollen?
Wir könnten eine Gemeinschaft unter gebärenden Frauen bilden, die sich für ihre bevorstehenden Geburten unterstützen und getragen fühlen, unabhängig von den Entscheidungen, die am Ende unter der Geburt getroffen werden müssen.
Wenn sich die Frau, die sich für eine Epiduralanästhesie entscheidet, in ihrer Entscheidung unterstützt fühlt, kann sie sich besser entspannen und sich ein getrost ein paar Stunden von ihrer harten Arbeit erholen.
Wenn sich die Frau, die sich für eine Hausgeburt entscheidet, in dieser Entscheidung unterstützt fühlt, fühlt sie sich vielleicht frei genug, um eine „orgastische Geburt“ erleben zu können. Ja, auch das gibt es 🙂
Wenn die Frau, die sich entscheidet, einen geplanten Kaiserschnitt zu machen, weil ihr Kind in Beckenendlage liegt und weil der Gedanke an eine vaginale Geburt ihr Angst macht, dann wird sie eventuell viel schneller genesen, wenn wir sie dabei unterstützen.
Zum Glück sind wir alle einzigartig, warum können unsere Geburtsentscheidungen nicht genau so einzigartig sein?
Als Hebamme und Mutter, die selbst eine natürliche Geburt im Krankenhaus hatte, habe ich eine bunte Palette an Geburtsszenarien erlebt.
Die Frauen mit den schönsten Geburten, waren diejenigen, die sich bereit dazu fühlten, ihren eigenen Instinkten Folge zu leisten, und die sich bewusst auf die daraus resultierenden Konsequenzen einließen.
Einige dieser Geburten waren orgastisch, einige davon waren PDA-Geburten, und einige davon waren geplante Kaiserschnitt-Geburten. Bei all diesen Geburten gab es eine Gemeinsamkeit: Die Frauen haben auf Grund ihrer individuellen Lebenserfahrungen eine Entscheidung getroffen, von der sie überzeugt waren. Eine Entscheidung, die nur die Mutter und das Kind etwas angeht.
Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass alle Frauen stolz und ehrlich über ihre Geburtserfahrungen berichten können und das sie von den anderen Mamas mit Unterstützung, Liebe und „Du bist eine tolle Rockstar-Göttin“-Salven überhäuft werden und das Leute mit abfälligen Bemerkungen bitte fern bleiben.