Mein Name ist Anna, ich bin Entwicklungspsychologin und Mutter zweier Kinder. Wir leben in Düsseldorf.
Zu den größten Überraschungen in der Kindererziehung gehörte die Tatsache, dass es verdammt schwierig sein kann, Kinder dazu zu bringen, freiwillig etwas gesundes zu essen.
Ich hatte früher immer gewisse Vorstellungen über essende Kinder und die sah so aus: Sie würden sich jeden Abend, mit Dankbarkeit und halbwegs guten Manieren, bereitwillig an den Tisch setzen, um meine wunderbaren, hausgemachten Mahlzeiten zu essen. Stattdessen wurde ich mit zwei Kindern gesegnet, die mega wählerisch sind, wenn es ums Essen geht. Meine beiden Jungs haben sehr genaue Vorstellungen davon, was sie essen oder eben nicht essen wollen.
Ich habe bereits mehrere Artikel darüber verfasst, wie es ist, wählerische Esser Zuhause zu haben. Ich tue das, weil ich denke, dass es wichtig für andere Eltern sein kann, darüber informiert zu sein, dass es viele kleine Kinder gibt, die jahrelang nichts weiter essen außer Brot und Nudeln. Ich möchte, dass diese Eltern ihre Schuldgefühle verlieren und, dass sie wissen, dass sie nichts falsch gemacht haben, und dass alles, was sie tun können, einfach nur aus ABWARTEN besteht. Wenn ein Kind älter wird, verliert sich häufig auch ihr wählerisches Essverhalten.
Jedes Mal, wenn ich meine ehrlichen Kämpfe ums Essen mit anderen teile, gibt es mindestens eine Person, die mir kluge Ratschläge geben will (Hallo, ihr Facebook-Freunde!). Das klingt dann immer ungefähr so: „Lass deine Kinder bloß nicht die Oberhand gewinnen. Du hast dich in ihren Diener verwandelt. Das, was du jetzt tun musst ist, ihnen eine Mahlzeit vorzusetzen und sie dann selbst entscheiden lassen, ob sie diese essen werden oder eben nicht. Wenn sie sie nicht essen, gibt es eben nichts anderes mehr!“
Da ist es wieder, das berühmte „Iss es oder verhungere“ Argument. Die Idee dahinter ist die, dass wenn du den Wünschen deiner Kinder nach anderen Gerichten nachgibst, du nur aktiv daran beteiligt bist, ein echtes Problem zu schaffen. Die Logik hier ist, dass kein Kind Hunger leiden will, also präsentiere ihnen dein Essen, und bring ihnen bei, dass sie essen müssen, was du gekocht hast oder es gibt eben nichts anderes. Punkt.
Niemand will verhungern, so die Argumentation, also entscheiden sich angeblich alle Kinder, irgendwann zu essen, bevor sie verhungern müssen.
Was passiert aber, wenn sie genau das eben nicht tun? Wie lange bist du bereit, darauf zu warten, bis sie es endlich tun?
Ich habe zwei wählerische Esser. Einer ist wählerisch, weil er vier Jahre alt ist, er hat noch eine Million Geschmacksknospen mehr als ich, und er lernt gerade erst, welche Arten von Lebensmitteln er mag und welche nicht. Er versucht herauszufinden, wie es ist, gewisse Vorlieben zu haben und diese mit den Bedürfnissen anderer um ihn herum in Einklang zu bringen.
Mein anderer wählerischer Esser ist 11 Jahre alt und tatsächlich kennt er seine Vorlieben in Sachen Nahrungsmittel schon sehr viel besser, als sein kleiner Bruder. Trotzdem ist er offen für Neues. Wann immer es ihm möglich ist, versucht er das zu essen, was ich ihm vorsetze und er macht auch kein Theater. Er ist allerdings sehr empfindlich gegenüber Gerüchen und Konsistenzen, und obwohl er mit zunehmendem Alter immer offener für neue Geschmäcker wurde, hat er immer noch eine ziemlich lange Liste an Lebensmitteln, die er NICHT isst, besonders wenn es um Obst und Gemüse geht.
Ich könnte wahrscheinlich die „essen oder verhungern“ -Taktik mit dem 4-Jährigen ausprobieren. Er ist zwar stur genug, dass er die Mahlzeit, auf die ich diese Herangehensweise anwende, aussitzen könnte – und vielleicht auch das Essen danach. Aber schließlich würde er einbrechen und essen, vermute ich.
Mein anderer Sohn – derjenige mit starken sensorischen Problemen und Vorlieben, wenn es um Essen geht – würde wahrscheinlich wirklich buchstäblich verhungern.
Mein Großer könnte das nie. Die paar Male, die er auf Geburtstagsfeiern eingeladen war und es ein Essen gab, was er absolut nicht ausstehen konnte, hat er wirklich NICHTS gegessen. Wenn ich ihm ein Mittagessen einpacke, das er nicht mag, wird er das Mittagessen ganz auslassen und stattdessen mit einem schmerzenden Bauch nach Hause kommen. Tatsächlich isst er in der Schule oft nicht viel zu Mittag, weil bereits der Geruch der Cafeteria ihm seinen Magen verdreht.
Ich habe noch nie diese „essen oder verhungern“ -Taktik bei meinen Kindern angewandt. Das bedeutet jedoch längst nicht, dass ich ihr Diener bin. Ich kann ihre Vorlieben im Hinterkopf behalten und dementsprechend kochen. Ich koche meinen Kinder nicht mehr als eine Mahlzeit am Tag, es sei denn, ich mache etwas, von dem ich genau weiß, dass es ihnen nicht schmecken wird.
Ich versuche Lebensmittel zu kaufen, von denen ich weiß, dass sie alle in der Familie essen werden, aber ich habe auch gelernt, zu einem Multitalent zu mutieren, wenn es darum geht, mal eben schnell einen Joghurt mit Erdbeeren zu zaubern, wenn ich merke, dass meine Kinder mein Essen partout nicht mögen. Ich bringe ihnen mit der Zeit auch bei, dass sie ihr Schulbrot selber schmieren können, wenn sie meine Brote nicht mögen.
Ja, es gibt auch bei uns Grenzen beim Essen, aber meine Kinder werden immer ein Mitspracherecht bei der Frage haben, was in ihren Körper gelangen darf und was eben nicht. Ich denke, das ist ein natürlicher und menschlicher Ansatz. Ich glaube, dass Essensvorlieben und deren Äußerung ein wichtiger Teil der körperlichen Autonomie sind. Ich selbst will doch auch nicht dazu gezwungen werden, etwas aufzuessen, wenn ich es doch gar nicht mag. Ich sehe nicht ein, warum ich meinen Kindern nicht denselben Respekt zollen soll.
Natürlich kann das manchmal sehr ärgerlich sein. Und natürlich müssen Eltern ihren Kindern auch Manieren beibringen oder auch Grenzen aufzeigen. Dennoch glaube ich, dass es einen Weg gibt, dabei die Bedürfnisse und Vorlieben zu respektieren, anstatt ihnen beizubringen, dass sie unter Zwang Dinge essen müssen, die sie gar nicht mögen.
Um es kurz zu machen: Bitte gebt anderen Eltern keine Ratschläge zu Dingen, wie Essen (oder Schlafen oder Disziplin oder zu irgendetwas anderem), es sei denn, ihr kennt die betreffenden Kinder wirklich gut, oder die betreffenden Eltern wünschen sich aktiv eure Unterstützung. Erziehungsmethoden und spezielle Regeln können klasse sein, aber nur weil etwas für dein Kind funktioniert, heißt das absolut nicht, dass es für ein anderes Kind auch so gut funktionieren wird. Unsere Kinder sind schöne, komplexe Wesen und die Art, wie wir sie erziehen, sollte so einzigartig wie sie selbst sein.