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Gastbeitrag von einer Zwillingsmama aus Hannover.

Ich war im achten Monat schwanger mit Zwillingen. Die Tage waren lang und die Nächte noch viel länger. Ich konnte nicht mehr schlafen, ich konnte dank meiner zunehmend tauben Beinen kaum mehr pinkeln, meine Knöchel waren so geschwollen, dass ich in keine Schuhe mehr gepasst habe, ich hatte starke Beckenschmerzen und hätte einen Preis für den besten schwangeren Watschel-Gang aller Zeiten gewinnen können.

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Endlich kam der Tag der Tage. Meine Fruchtblase platzte um genau 02:30 Uhr in meiner 37. Schwangerschaftswoche. Ich lief durch das Haus wie eine wild gewordene Hummel, während ich Fruchtwasser über all unsere Teppiche verteilte. Es war, als hätte ich plötzlich den Verstand verloren. Ich trug eine grün karierte Pyjamahosen (die meines Mannes) und ein blau gepunktetes Hemd. So konnte ich doch unmöglich in ein Krankenhaus gehen!?!

Aber anstatt mich umzuziehen, rief ich meine Mutter an und sie konnte mich schnell zur Vernunft bringen. Ich dachte immer, dass man noch viel Zeit hat, wenn die Fruchtblase geplatzt ist. Bei mir war das leider anders. Es fühlte sich an, als würden die Zwillinge noch im Auto auf dem Weg ins Krankenhaus geboren werden. Mein Mann gab mir schnell ein Badetuch und einen schwarzen Müllsack zum Sitzen, damit ich unser Auto nicht vollsaute.

Um 04:15 Uhr bekam ich dann einen Kaiserschnitt, es passierte ein schrecklicher Unfall während der Operation. Anscheinend hat der Anästhesist nicht gemerkt, wie groß ich wirklich bin und er hat mir nicht genug Narkosemittel verabreicht, so dass ich alles gespürt habe. Das waren die längsten und schmerzhaftesten 60 Sekunden meines Lebens (noch schmerzhafter als die Wehen, die ich während der Geburt meines ersten Kindes erlebt habe).

Als dann alles ausgestanden war, hielt ich plötzlich zwei perfekte, kleine Jungs in meinen Armen. Einen, mit dem ich mich sofort anfreundete, und einen, den ich zum Abschied küsste, als er zur Neugeborenenintensivstation gebracht wurde. Er hatte Fruchtwasser eingeatmet, das bereits Mekonium enthielt, und er hatte deswegen Atembeschwerden. Da lag ich also mit diesem perfekten neuen kleinen Menschen in meinem Arm, während ich nicht aufhören konnte, an den kleinen Kerl zu denken, der nicht bei mir sein konnte. Das waren Höllenqualen. Ich wollte sie beide gleichermaßen bestaunen können. Ich habe endlich eine der Schwestern überredet, mich doch bitte auf die Station zu bringen, damit ich ihn zumindest sehen kann. Also brachte sie mich auf die Toilette, bevor sie mich in meinen Rollstuhl setzte und ich ohnmächtig wurde. Danach ließen sie mich nicht mehr aufstehen (und das zu Recht).

Ich kann auch heute noch nicht wirklich erklären, wie ich mich als frischgebackene Mutter von Zwillingen fühlte, die nur ein Kind von zweien nach der Geburt bei sich haben konnte. Kurzum: Ich war ein emotionales Wrack. Nach einem fünftägigen Krankenhausaufenthalt konnten wir schließlich alle nach Hause gehen. Ich habe mein Baby nur zweimal auf dem Arm halten dürfen, bevor ich das Krankenhaus verlassen durfte. Ich werde nie vergessen, wie es war, das Krankenhauszimmer endlich verlassen zu dürfen und ich dann meinen Mann mit einem zweiten Autositz auf mich zukommen sah. Zu sagen, dass ich überwältigt war, wäre eine totale Untertreibung.

Wir kamen nach Hause und ich fühlte keinerlei Verbindung zu meinem Kind. Und mich plagten immense Schuldgefühle. Bereits wenige Stunden nach meinem Kaiserschnitt ließ man mich Milch abpumpen, um sicher zu stellen, dass ich in der Lage sein würde, beide Babys zu stillen. Als ich dann endlich nach Hause kam, pumpte ich alle 1,5 Stunden Milch und fütterte je ein Baby pro Stunde. Natürlich hatten beide Kinder zu unterschiedlichen Stunden Hunger, somit tat ich eigentlich nichts anderes mehr. Ich bekam insgesamt etwa 45 Minuten Schlaf pro Nacht. Ich habe kaum überlebt.

Irgendwann sind wir zu meinen Schwiegereltern gezogen, und meine Schwiegermutter hat mir nachts ein Baby abgenommen und ich hatte eines bei mir. Ja, ihr seht richtig, ich habe mich davon verabschiedet beide Kinder zu stillen. Das Maß an Kontrolle, welches man als Zwillingsmutter zwangsläufig loslassen muss, ist eine sehr demütigende Erfahrung. Ich hatte nicht die Wahl, die Dinge auf meine Weise erledigen zu können. Ich hatte nicht die Wahl, meine Babys von Anfang an in meine Arme zu schließen. Ich hatte nicht die Wahl, sie so zu verwöhnen, wie ich es mir wünschte. Ich war gezwungen, mich an einen Zeitplan halten zu müssen, um nicht komplett den Verstand zu verlieren.

Wenn man zuerst Zwillinge bekommt und dadurch zum ersten Mal Eltern wird, verändert diese Art und Weise der Erstgeburt alles bisherige. Ich hingegen hatte nie dieses „Liebe auf den ersten Blick-Gefühl“ mit ihnen, weil ich körperlich einfach nicht in der Lage dazu war. Füttere mal zwei Babys gleichzeitig ohne auszuflippen! Das schaffst du nicht.

Langfristig gesehen, haben Zwillinge auch totale Vorteile, denn sie haben von Anfang an jemanden an ihrer Seite, mit dem sie sich einen extrem kleinen Raum geteilt haben. Und obwohl die beiden ja meine zweitgeborenen Kinder waren, fühlte es sich so an, wie das erste Mal Mama sein. Falls das Sinn macht. Etwas, das normalerweise ganz natürlich passiert, wenn man Kinder nacheinander bekommt, wird erzwungen, wenn man ein Elternteil von Zwillingen ist. Ich war nicht bereit dazu. Ich fühle mich sogar schuldig, weil ich die Einlingsschwangerschaft so viel mehr genossen habe. Ich habe ihn als Baby so viel mehr genossen.

Zwei Babys im gleichen Alter zu haben bedeutet, dass man sie ständig miteinander vergleicht. Obwohl ich mir in meinem Kopf ständig sagte, „sie sind beide ganz unterschiedlich, also werden sie sich auch unterschiedlich entwickeln“, dennoch flippte ich regelmässig aus, wenn der eine etwas konnte, was der andere noch nicht konnte. Mutter von Zwillingen zu sein, bedeutet, dass sie dich beide auf die gleiche Weise zur gleichen Zeit brauchen.

Zwei Babys zur gleichen Zeit zu haben, ist körperlich und emotional anstrengend. Ich verglich ständig meine Beziehungen zu jedem Baby und fühlte mich schuldig, wenn ich mich mehr mit dem einen oder mit dem anderen verbunden fühlte.

Mehrere Kinder im gleichen Alter zu haben, bringt eine ganz neue Dynamik in die Familie. Es stellt eine andere psychische Belastung für die Eltern dar. Ich kann nicht behaupten, dass es insgesamt schwerer ist Zwillinge zu bekommen, als drei Kinder hintereinander groß zu ziehen, aber es ist ganz sicher verdammt anders.

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