Werbung

Ein Gastbeitrag von Veronika aus München.

„Willst du stillen oder etwa das Fläschchen geben?“ Diese Frage wurde mir sogar während der Wehen und unter der Geburt meines ersten Kindes mehrmals gestellt.

Werbung

Ich hatte den Eindruck, dass alle um mich herum gestillt haben.“Wer bitte gibt denn die Flasche ohne Grund?“, dachte ich mir damals noch. Meine Schwester unterzog sich einer doppelten Brustamputation und konnte nicht stillen, aber das war auch der einzige Grund, den ich damals gelten lies, wenn es ums Stillen ging.

Und so sagte ich damals ohne nachzudenken „Stillen“ mit einem leichten Hauch von Überlegenheit in meiner Stimme. Diese Überlegenheit hat mir später buchstäblich in den Arsch gebissen.

„Muttermilch ist das Beste fürs Kind“ wurde mir in mein Gehirn eingebrannt und ich wusste nicht einmal, wo diese ganze Milch gebildet wurde.

„Colostrum ist flüssiges Gold“ hatte mir mal jemand gesagt – und es sah tatsächlichen ein bißchen wie flüssiges Gold aus, wie ich später an meinem T-Shirt feststellte.

Die Sätze, die einem allerdings niemand im Vorfeld über das Stillen verrät, sind jedoch die:

„Stillen – Ein Höllenritt durch Schmerz und Qual.“

Oder dieser hier:

„Blutige Brustwarzen tun scheiße weh“

Ich hatte bereits ein wenig Angst davor, dass ein menschliches Baby aus einer sehr kleinen Öffnung herauskommt, aber ich habe nie daran gedacht, dass der brennende Schmerz, der dabei entsteht, wenn dieses Baby 24 Stunden am Tag an deinen wunden Brustwarzen saugt, noch viel schlimmer ist. Jedenfalls für mich.

Auch riesige Menge Lanolin konnten meine Still-Probleme nicht lindern.

Ich weinte in meinem Schaukelstuhl sitzend und stöhnte gelegentlich vor Schmerzen, als die erste Hitzewallung wegen des Schmerzes über mich kam.

Ich schaffte es nicht, genug Brustwarze in seinen kleinen Mund zu bekommen. Ich traf die Stillberaterin alle 48 Stunden. Ich ertrug das Stechen meiner Brüste alle paar Stunden in der Nacht tapfer. Er hing locker anderthalb Stunden pro Stillversuch an meinen Nippeln und ich hatte immer noch keine Ahnung, ob überhaupt etwas von meiner Milch bei ihm ankam.

Es stellte sich heraus, dass nicht viel bei ihm ankam. Mein Sohn verlor in den ersten zwei Wochen seines Lebens fast ein Kilo seines Körpergewichtes und ich war bei jedem neuen Wiegevorgang entsetzt. Er bekam zu wenig Milch. Ich hatte zu wenig Milch. Ich hatte Schmerzen, ich blutete, ich war erschöpft und hoffnungslos verzweifelt.

Ich war wie besessen von seinem Gewichtsproblem, ich war mega ängstlich, dass es über Nacht ohne mein Wissen noch weniger wurde. Meine Stillprobleme verschärften den spürbaren Kampf meiner postpartalen Angst, den ich leider vor meinem Ehemann, der ja auch nervös war, austrug.

Nach ein paar Wochen entschied ich mich dazu, eine gute Milchpumpe anzuschaffen. Mein Leben bestand nun aus pumpen und füttern (da er untergewichtig war, wurden wir aufgefordert, ihn spätestens alle drei Stunden zu wecken), Flaschenteile auskochen und Listen, auf denen wir sein aktuelles Gewicht protokollieren.

Meine „tolle“ Pumpe – eine sauteure elektrische Doppelpumpe – war entweder defekt oder sie funktionierte einfach nicht, also mieteten wir uns eine Pumpe in Krankenhausqualität, die zwar noch teurer als unsere erste Pumpe war, aber immerhin schien sie reibungslos zu funktionieren.

Im Internet äußerten andere Mütter, dass Stillen eine der schönsten Erfahrungen sei, die sie jemals erleben durften. Ich las Blogeinträge von Frauen, die traurig waren, dass ihre Einjährigen sich abgestillt hatten. Ein Jahr in diesem Muttermilch-Fegfeuer klang länger als die Ewigkeit. Was war mit diesem „Ein-Jahres-Ziel“, über das so viele Leute auf allen Mami-Facebook-Gruppen schrieben? Ich fühlte mich bereits nach einem Monat wie ein Versager.

Ich knallte mir Bockshornklee wie eine Süchtige rein und trank rund um die Uhr Still-Tee und naschte permanent an Laktationskeksen, die ich in aufwendigen Back-Arien mühselig herstellte.

Meine Stillberaterin ermutigte mich stets, es weiter zu versuchen. Sie empfahl mir meine Muttermilch höchstens mit etwas Milchpulver anzureichern, so dass sich jede Flasche reine Muttermilch wie ein heiliges Elixier anfühlte. Ich konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ich meinem Baby nicht das gab, was das Beste für ihn war, als ich meine wenige Muttermilch durch etwas Pulvernahrung ergänzte.

Aber dann fing er an, an Gewicht zuzulegen. Frei von dieser elenden Brustwarzenquälerei fing ich an, meinen Körper und meine geistige Gesundheit nach und nach wiederzuerlangen. Die zusätzliche Pulvernahrung nährte mein Baby mehr, als ich es konnte. Langsam ersetze ich immer mehr Muttermilch durch Pulver und zog mich mehr und mehr von der Muttermilch zurück. Stetig begann sich meine Stimmung und meine Freude über das Mutterdasein zu verbessern.

Nach etwa 10 Wochen des verzweifelten Stillens, der Unzufriedenheit und des Kampfes mit dem Pumpen, wechselte ich komplett zum Milchpulver. Unsere Bindung war trotzdem sehr innig und ich war viel glücklicher, da die Angst abnahm und ich mich endlich darauf konzentrieren konnte, die beste Mutter zu sein, die ich sein konnte. Vorbei war das Weinen und der Stress wegen des Stillens. ICH.WAR.ENDLICH.FREI

Zwei Jahre später bekam ich mein zweites Baby. Der Druck war wieder groß und ich sagte mir: „Ich muss es zumindest versuchen.“ Bereits 24 Stunden nach ihrer Geburt, hatte ich erneut eine blutige Brustwarze, ich war verzweifelt weil ihr Mund zu klein war und die Schwester riet mir eindringlich, es mal mit „Pumpen“ zu versuchen.

Alles, was ich kurz vor dem Verlassen des Krankenhauses fühlen konnte, war Angst. Die Nachwirkungen der Geburt meines Sohnes kamen zu mir zurück, als hätte ich eine Form der posttraumatischen Belastungsstörung. Allein der Gedanke daran, das alles noch einmal durchmachen zu müssen, machte mich krank- und direkt zum ausschließlichen Pumpen überzugehen, klang wie eine Gefängnisstrafe in meinen Ohren.

Ich erzählte der diensthabenden Krankenschwester von meinen Sorgen, als sie mir plötzlich sagte, dass auch sie eine „Hassliebe zum Stillen“ habe.

„Es gibt keine Liebe für mich,“ sagte ich, „Es ist nur Hass.“

Und dann hat sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht.

„Weißt du, wenn du dich entscheidest, dass du nicht stillen willst, lass es uns einfach wissen.“ Es ist dein Baby. Tu das, was für dich richtig ist“, sagte sie mit einer wahnsinnigen Freundlichkeit in ihrer Stimme. Sie lächelte.

Ich schluckte Tränen runter, denn als ich ernsthaft darüber nachdachte, das Stillen zu überspringen und meinem Baby direkt Milchpulver zu geben, die ja eigentlich eine richtige Wundererfindung ist und jeden Tag das Leben von Babys auf der ganzen Welt rettet, wurde mein Herz plötzlich viel leichter. Wir alle sollten vermutlich auch Milchpulver in unsere Smoothies schütten, bei den ganzen Vitaminen.

Die nächsten Stunden verbrachte ich mit googeln und ich schrieb meinen engsten Freundinnen zahlreiche SMS über mein Vorhaben. Mein Mann hatte mich bereits dazu ermutigt, nicht zu stillen, wenn es das ist, was ich wollte. Meine Mädels versicherten mir ihre Unterstützung. Eine Freundin erinnerte mich daran, dass sie ihre beiden Babys auch von Anfang an nicht stillte und sie mittlerweile gesunde, glückliche neun- und sechs-Jährige Kinder sind.

Ich rief meine Krankenschwester ins Krankenzimmer und sagte ihr, dass ich nicht stillen werde. Es kam allerdings eine neue Krankenschwester in mein Zimmer, sie sagte: „Okay, toll, ich hole mal ein paar Flaschen“, und dann erzählte sie mir, dass sie die gleiche Entscheidung bei ihrem zweiten Kind getroffen hatte, nachdem sie viele Kämpfe bei ihrem ersten Kind ausstehen musste.

Es fühlte sich wie ein Zeichen an. Sobald ich die Entscheidung getroffen hatte, war es, als ob eine schwere Last von meinen Schultern fiel und das Heimgehen fühlte sich nicht mehr wie eine gerichtlich angeordnete Strafe an. Diese neue Erfahrung füllte sich plötzlich mit Licht und Liebe. Ich musste mich nicht mit dem Stillen quälen und mein Baby würde deswegen nicht sterben.

Hier bin ich nun also, zehn Tage nach der Geburt meines zweiten Kindes. Mein Neugeborenes wird mit Pulvermilch gefüttert. Sie ist glücklich. Sie nimmt zu. Und auch ich bin diesmal wirklich glücklich.

Werbung

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.