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Ein Gastartikel von Melli S.

Ich brauchte vier Jahre, um endlich schwanger zu werden. Vier lange, unsichere Jahre, die einen solchen physischen und emotionalen Tribut forderten, dass ich oft weinte und mit dem Universum feilschen musste. „Komm schon, wenn du mich zur Mutter machst, dann verspreche ich dir, dass ich mein Kind nie für selbstverständlich halte“, höre ich mich noch betteln. „Ich verspreche dir, jeden Moment in vollen Zügen zu genießen.“

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Und ich meinte es von ganzem Herzen. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie einige Mütter so gefühllos sein konnten, als wären ihre Kinder ein Problem oder gar eine Last, der sie entkommen mussten. Wie kann bitte Kinder haben wollen, und sich dann nichts sehnlicher  wünschen, als wieder von ihnen zu entkommen?

Ein paar Jahre später kam dann das Verständnis. Ich war Mutter eines Kleinkindes und Mutter eines weiteren Kindes, die ich abgöttisch liebte. Ihr Bedürfnis stellte ich grundsätzlich über meine. Ich habe mich selbst vernachlässigt, mein Schwerpunkt im Leben verlagerte sich auf das Wohlergehen meiner Kinder. Die Tage vergingen, ich war oft ungeduscht und stark behaart, ich trug alte T-Shirts mit Ausschnitten, die vom Stillen schon ganz ausgeleiert waren, und ich hatte Schultern, die mit Spucke und Rotzflecken oder pürierten Pflaumen oder was auch immer übersät waren.

Meine alte Jeans passten nicht mehr. Meine süßen Schuhe und „Ausgeh-Oberteile“ sammelten Staub in meinem Schrank an- denn alles, was ich in dieser Zeit gefühlt tat, war, mit einer Horde wilder Kinder und Autositzen und Wickeltaschen zu kämpfen und ständig „nein“ zu sagen. Ich habe viele, endlos erscheinenden Minuten damit verbracht, mich über Dinge zu streiten, wie zum Beispiel, warum wir die zerquetschte Banane nicht wieder zusammensetzen können.

Eines Abends rief mich meine einzige noch kinderlose Freundin an. Wehmütig verglichen wir unsere Leben. „Ich habe es so satt, allein zu sein“, seufzte sie. „In der Woche komme ich spät von der Arbeit nach Hause und hole mir schnell etwas zu essen – manchmal gehe ich auch allein in ein Restaurant oder ich verbringe den ganzen Abend mit Netflix, weil ich nichts anderes zu tun habe.“ Dann fuhr sie fort, dass auch ihre Wochenenden teilweise nicht besser waren: Immer der gleiche Freundeskreis, die ewig gleichen Bars und Restaurants, sie hatte das alles so satt.

Sie erzählte mir das nicht, um mich neidisch zu machen -Nein- Sie war wirklich neidisch auf mein Zuhause voller Familie und Aktivitäten und Liebe – aber das, was sie sagte und das, was ich hörte, waren zwei verschiedene Dinge. Sie sagte, sie sei einsam und gelangweilt. Alles, was ich hörte, war das Aufblühen von Luxus, den ich nicht mehr hatte: Stille. Die Möglichkeit, das Essen selbst zu wählen, ohne Rücksicht auf die Vorlieben anderer nehmen zu müssen, ohne es zerkleinern oder abkühlen lassen zu müssen. Die Freiheit, einfach nur mal da zu sitzen und ununterbrochen Serien gucken zu können oder, zur Hölle, sogar einen Ausflug ins Bad zu machen und zwar: Alleine! Überall hin gehen zu können, ohne für einen Babysitter zu sorgen oder sich gar schuldig zu fühlen, weil man weggegangen ist oder weil man Geld ausgegeben hat, mit dem man den Kindern hätte etwas Schönes hätte kaufen können, ist ein himmelweiter Unterschied. Sie schwamm in Autonomie, und ich besaß längst keine mehr.

Für mich war sie in dem Moment wie ein Lotteriegewinner, der sich darüber beschwert, zu reich zu sein. Ich gab vor, mitfühlend zu sein, legte dann auf und weinte. Und dann fühlte ich mich schuldig, weil ich mit mal eine Pause vom Mamasein wünschte und weinte deswegen weiter. Meine Versprechen an den Kosmos von vor so vielen Jahren klingelte laut in meinen Ohren: Ich würde nie von meinem Kind getrennt sein wollen, nicht einmal für eine Minute. Ach, für keine Sekunde!

Was ich damals nicht verstanden habe ist, dass dieser Mama-Burnout mich nicht zu einem schlechten Elternteil gemacht hat; es hat mich lediglich zu einem ganz normalen Menschen gemacht. Mama zu sein ist ein wie ein Marathon, ein Test über Mut und Stärke. Warum sollen wir darauf anders reagieren, als auf alles andere, was schwierig in unserem Leben ist? Wir haben nie einen Tag frei, auch nicht, wenn wir selbst krank sind. Wir ertragen schlaflose Nächte und kämpfen uns dann wie ein Chef durch den nächsten Tag, weil es ja irgendjemand tun muss. Wir beschäftigen uns regelmäßig mit Dingen, die unsere kinderlosen Freunde nahezu erschrecken würden – ohne selbst mit der Wimper zu zucken. Und das alles ganz zu schweigen von dem emotionalen Tribut der Erziehung: Die Sorge, das ständige Bewusstsein, dass wir für so viel verantwortlich sind, die Angst, dass wir irgendwie alles vermasseln.

Natürlich sind wir erschöpft. Natürlich vermissen wir die ungebundene Freiheit, uns vor allen anderen um unsere eigenen Bedürfnisse kümmern zu können und uns in erster Linie nur um uns selbst Gedanken machen zu müssen.

Wir mögen zwar Mamas sein, aber wir sind auch immer noch Menschen, die der gleichen Müdigkeit ausgesetzt sind wie alle anderen auch, die hart arbeiten. Die Menschen zu vermissen, die wir einst waren, bevor wir Kinder bekamen, bedeutet nicht, dass wir unsere Kinder nicht lieben – es bedeutet lediglich, dass wir uns selbst auch lieben, und daran ist absolut nichts auszusetzen. In der Tat ist unsere Selbstliebe sogar maßgeblich entscheidend für unser eigenes Wohlbefinden und das unserer Familien.

Also, Mamas, wenn ihr euch ausgebrannt fühlt und ihr das Gefühl habt, ihr bräuchtet mal ne kurze Pause: Fühlt euch bitte nicht schuldig. Du bist nach wie vor ein Mensch, demnach darfst du für dich selbst erkennen, dass du nicht so weit von dir entfernt bist, wie du dachtest.

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