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Anonymer Gastbeitrag.

Fangen wir meine Geschichte doch so an: Mein erster Sohn war ein „Warum eigentlich nicht“ Baby. Es lief ungefähr so ab: „Schatz, wenn wir jetzt Sex haben, werden wir schwanger.“ „Ja, warum eigentlich nicht“ Er wurde nach einer langen Nacht voller Alkohol und Zigaretten in einem angesagten Club der Stadt gezeugt, wo man noch rauchen konnte.

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Es war das zweite Jahrzehnt dieses neuen Jahrhunderts, und ja, ich rauchte eine Packung pro Tag. Marlboro Lights. Ich bin Raucherin seit der Oberstufe. Das ist schon einige Jahre her. Ich leide unter einer genetisch vererbten ADHS Erkrankung, das bedeutete manchmal, dass ich Suchtmitteln nicht gerade abgeneigt war und ständig zu Aufputschmitteln griff (mein Red Bull Verbrauch war legendär!!)

 

Ich war keine Gelegenheitsraucherin. Ich war die Art von Raucherin, die aus dem Bett rollte, auf die Couch plumpste, eine Dose Red Bull aufmachte und die sich erstmal eine Kippe anzündete.

Als also der Schwangerschaftstest zwei kleine, blauen Linien anzeigte, waren wir total begeistert – wäre da nicht dieses kleine, miese Detail gewesen. Ich rief sofort eine befreundete Hebamme an, die mir riet, ich solle mir Baldrianwurzel einwerfen, um mit dem Rauchen aufhören zu können.

Baldrianwurzel ist totaler Schwachsinn, Freunde.

Zwei Wochen später ging es mir plötzlich sehr schlecht, ich rauchte immer noch, obwohl schon viel weniger als zuvor. Ich wachte auf und blutete stark. Ich verlor mein Kind in der Frühschwangerschaft. Ich weinte die kompletten fünf Stunden in der Notaufnahme. Ich weinte während der Doppler-Untersuchung, als ich meinen Sohn zum ersten Mal sah. Ich weinte, weil ich mir nicht sicher war, ob ich einen schrecklichen, unverzeihlichen Fehler gemacht hatte. Dieses Gefühl der Schuld machte mich zu einem schrecklichen, bösen Menschen, ob ich nun wollte oder nicht. Die pränatale Depression hatte mich in ihre Fänge genommen und mich kräftig durchgeschüttelt.

Und leider hat es nicht aufgehört.

Die meisten Menschen wissen nicht, dass pränatale Depressionen nichts ungewöhnliches sind. Sie wissen nicht, dass sie häufig auch zu regelmäßigen Depression führen können, zu einem reduzierten Interesse am Leben, am Universum und an allem, was dich umgibt. Es gibt nur noch den Wunsch, möglichst viel zu schlafen. Dazu kommt häufig die tiefe, verzweifelte Dunkelheit der Selbstverletzung. Hinzu kommt der schrecklichste Schmerz von allen: Ernsthafte Selbstmordgedanken, diese Art von Selbstmordgedanken, die mit einem konkreten Plan einhergehen.

Der einzige Grund, warum ich diesen Plänen nicht nachgegeben habe? Ich wollte das Baby, dass kurz nach meiner Fehlgeburt in mir heranwuchs nicht auch noch töten. Dieses neue Leben in mir, hielt mich davon ab, mich selbst zu töten. Ich hatte leider nicht genug Stärke übrig, um dem verdammten Nikotin in den Arsch zu treten.

Also habe ich weiter geraucht. Ich rauchte auf dem Balkon, 2-3 Zigaretten pro Tag, fühlte mich schuldig und zugleich so unendlich dankbar. Mein Mann hat versucht, die Zigaretten vor mir zu verstecken. Ich habe sie immer wieder gefunden. Ich habe Freunde dazu gebracht, heimlich Zigaretten für mich zu kaufen. Ich rauchte ein paar Mal in meinen Freundinnen im Auto und verkroch mit dabei tief im Sitz, damit niemand meinen dicken Bauch sehen konnte. Und als sich schließlich herausstellte, dass ich dringend therapeutische Hilfe brauchte – was ich im Nachhinein viel früher hätte erkennen müssen – hatte ich zu viel Angst, meinem Arzt zu gestehen, dass ich rauche. Ich wusste, er würde mich direkt belehren. Ich wusste, dass er mir sagen würde, ich solle sofort aufhören, was ich eben nicht ohne Hilfe schaffen würde, und ich wusste, sie würden es in meine Krankenakte aufnehmen und es würde spätestens bei der Geburt wieder zum Thema werden. Vielleicht hatte ich auch Angst, dass er versucht hätte, mir die eine Sache im Leben wegzunehmen, auf die ich mich immer verlassen konnte.

Also habe ich weiter geraucht.

Ich rauchte niemals in der Öffentlichkeit – Ich hatte Angst vor euren Verurteilungen. Ich kannte euer Urteil: Es beherrschte meine Gedanken. Tag und Nacht. Ich war so gut im Verheimlichen, dass meine Mutter mal bei uns übernachtete als ich im achten Monat war und sie bekam nicht mit, dass ich immer noch zweimal am Tag das Haus für eine Zigarette verließ.

Ich rauchte sogar unter den Wehen, besonders wenn es schlimmer wurde, wenn der Bauch hart wurde. Wir fuhren ins Krankenhaus. Ich hörte mit dem Rauchen auf, als wir zur Anmeldung gingen. Als mein Sohn endlich geboren wurde, war ich so sehr mit all diesen neuen Dingen beschäftigt, dass ich meine Zigaretten schlichtweg vergaß. Ich war zu sehr damit beschäftigt, alles zu lernen. Ich saß drei Tage in diesem Krankenhauszimmer fest, in diesen vier Wänden. Und als ich dann entlassen wurde, wurde mir plötzlich klar, dass ich seit drei Tagen nicht mehr geraucht hatte.

Ich habe nie wieder geraucht.

Mein Sohn litt bisher nicht unter den Folgen meines Nikotingenusses. Seine ADHS Erkrankung ist genetisch bedingt. Er hatte einmal ein fieses Ekzem, dass darauf hätte zurückgeführt werden können, aber dann litten auch seine Geschwister darunter. Und trotzdem mache ich mir auch heute noch ständig Sorgen. Ich habe immer noch Angst, dass die ganzen Chemikalien, die ich in ihn rein gepumpt habe, plötzlich einen Schalter umlegen, ein Chromosom treten oder vielleicht doch ein oder zwei Gene verdreht haben: Eine tickende Zeitbombe seinem Körper. Krebs. Psychische Erkrankungen. Etwas, das ich noch nicht benennen oder kennen oder überhaupt daran denken kann. Ich habe Angst, dass noch etwas auf ihn zukommt. Ich mache mir Sorgen, dass ich daran Schuld bin.

Ich wollte während meiner Schwangerschaft nicht rauchen. Ich konnte nicht aufhören. Ich konnte verdammt nochmal nicht aufhören. Du musst wissen, dass, wenn ich hätte aufhören können und nicht in meinem Teufelskreis aus Elend und Depression gefangen gewesen wäre, ich hätte es getan. Ich liebte das ungeborene Kind, welches in mir heranwuchs. Ich wollte ihn nicht verletzen. Ich wusste, dass das, was ich tat, schlecht für ihn war. Aber ich konnte nicht aufhören. Ich wünschte, ich hätte es gekonnt. Ich wünschte, ich hätte es getan.

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