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Heute erzählen wir euch von einer unserer Leserinnen und ihrem Sohn. Uns hat ihre Geschichte wirklich sehr berührt. Ihr kleiner Sohn kam mit einer Gaumenspalte und der Pierre-Robin-Sequenz auf die Welt. Neben der bewegenden Erzählung der Mutter erklären wir euch, was es mit den Fehlbildungen auf sich hat.

„Schwanger. Puh.. Jetzt bin ich erst mal platt. Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf. Wird die Geburt auszuhalten sein? Werde ich genug Milch zum Stillen haben? Welche Nuckel nimmt man denn so? Und wie viele eigentlich? Ganz schön viel zu beachten, wenn´s ums Baby geht! …Dabei hatte ich ja keine Ahnung, WAS alles auf uns zukommt.
Die Schwangerschaft verlief ohne Probleme, nur in der 22. Woche hatte ich etwas zu viel Fruchtwasser. Hätte ich mal nicht Doktor Google befragt… Aber der Arzt sagt, dass alles in Ordnung ist.

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Es ist der 13.04.2015, um 04:33 Uhr und ich halte meinen kleinen Mann nach 24 Stunden Wehen und 3 Stunden Geburtsstillstand, mit darauffolgender PDA, endlich im Arm. Wie ein kleiner faltiger Opa sieht er aus. Zum Knutschen. Sein Kinn ist ganz schön weit hinten…Ach, alle Neugeborenen haben ein etwas fliehendes Kinn, mach dich nicht verrückt. Der erste Anlegeversuch missglückt irgendwie. Ich finde einfach nicht die richtige Position..das fängt ja gut an! Mutter des Jahres…schafft es nicht mal, ihr Baby anzulegen. Oh man. Nach ewigem hin und her Gewurschtel gelingt es mir doch. Der Knirps dockt an, zieht, lässt wieder los. Jedes Mal. Was mach ich denn falsch? Meine Hebamme sagt, alles nicht so wild, er ist noch erschöpft von der Geburt. Hauptsache ist, er trinkt innerhalb der nächsten 48 Stunden.

Die 48 Stunden vergingen. Aber er trank nicht. Schwestern hatten mitgeholfen, alles ohne Erfolg. Schließlich bekam ich eine Milchpumpe, damit der kleine Mann endlich Nahrung bekam. Am zweiten Tag schaffte ich es, 30 ml abzupumpen. Doch der Knirps, hungrig wie er war, schien Ewigkeiten dafür zu brauchen. Eine Stunde für 20 ml? Naja… dann ist er halt etwas langsam.

„Sein Kinn ist wirklich ganz schön weit hinten, meinst du nicht?“ sagt mein Mann zum wiederholten Mal zu mir. Ich muss mich zusammenreißen, nicht aggressiv zu werden. Der kleine Mann ist doch perfekt! …oder nicht?

Dann ging´s los, wir sollten schnell noch zur U2, und dann endlich ab nach Hause! Der kleine Mann wird untersucht, gedreht, gewendet, alles dran, alles da wo es hingehört. Dann schaut der Arzt mit prüfendem Blick in seinen Mund. „Moment“…sagt er…“hast du etwa eine Gaumenspalte?““

Insgesamt kommen weltweit eines von 500 Kindern mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte auf die Welt. Das bedeutet, dass die Babys eine Fehlbildung haben, bei der Lippen, Oberkiefer und/oder Gaumen nicht richtig zusammengewachsen sind. Diese Fehlbildung entsteht bereits während der Embryonalentwicklung im Bauch.

In Europa ist es eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Jungs sind dabei zirka eineinhalb Mal so häufig betroffen wie Mädchen.
Die Krankheit ist in verschiedene Formen zu unterschieden. Bei zirka 20 Prozent der Erkrankten liegt eine reine Lippen oder eine Lippen-Kiefer-Spalte vor. Häufiger, mit etwa 50 Prozent haben die Kinder eine komplette Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.

„Wäh? Gaumenspalte? Schon mal gehört…kann man das behandeln? Ist das schlimm? Dürfen wir trotzdem nach Hause? Sie behalten ihn noch da, ich soll zurück aufs Zimmer. Da steht eine Dame vom Sozialmedizinischen Dienst in der Tür. Ich, total am heulen, völlig fertig, sehe tränenverschleiert, dass sie sich neben mein Bett setzt. „Ja, Frau S. …ihr Kind hat ja wohl eine Gaumenspalte. Da werden sie viel Hilfe benötigen. Dann wird er später noch operiert. Das wird eine harte Zeit….ach was, sie heulen jetzt schon? Na, dann warten sie mal, bis der Baby-Blues kommt!“ (Ohne Mist. Das hat sie gesagt!) Unterschieben hab ich dann tatsächlich auch noch irgendwas.“

Zu Beginn der Schwangerschaft entwickeln sich die Gesichtshälften unterschiedlich voneinander und wachsen dann von außen nach innen zusammen. Zwischen der fünften und siebten Schwangerschaftswoche findet dann normalerweise die Verbindung der Gesichtshälften an der Nase, Oberkiefer und Oberlippe statt. Zwischen der zehnten und zwölften Woche schließt sich dann der Gaumen. Ist diese Entwicklung gestört, entstehen die Spalten.

Die Gründe dafür sind vielseitig. Eine große Rolle spielen dabei die Gene. Das zeigt sich darin, dass um die zehn Prozent der Betroffenen auch Familienmitglieder oder nahe Verwandtschaft mit der Krankheit haben. Aber auch andere Faktoren können die Fehlbildung begünstigen. So können Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum, sowie Folsäuremangel oder zu viel Vitamin A und E können die Fehlbildung begünstigen. Auch zu viel Stress kann sich negativ auf die Entwicklung auswirken.

„Meine Lieblingsschwester kommt herein, setzt sich auf mein Bett und sieht mich sorgenvoll an, das kann nichts Gutes heißen. „Frau S….Ich muss ihnen etwas sagen – Ihr Sohn hat eine Gaumenspalte und etwas, das sich “Pierre-Robin-Sequenz” nennt“. Ich breche wieder in Tränen aus. Was ist dieses Pierre-Dingens? Ist mein Sohn krank? Womöglich behindert? Alle in meinem Freundeskreis haben gesunde Kinder! Warum die Ausnahme bei uns? Sie fährt fort: „Leider können Sie noch nicht nach Hause. Sie werden jetzt verlegt, auf die Intensivstation, Ihr Sohn muss überwacht werden, damit Ihm nichts passiert.“ Mir ist schwindelig, mir ist schlecht. Unter normalen Umständen hätte man so etwas vielleicht gefasster aufnehmen können. Aber drei Tage nach der Entbindung? Die Hormone tanzen Tango und ich finde den Rhythmus nicht. Ich weiß nicht mal, wo oben und unten ist, geschweige denn, wo links und rechts ist; aber das konnte ich noch nie unterscheiden.“

Die Pierre-Robin-Sequenz ist ebenfalls eine angeborene Fehlbildung und zeichnet durch drei verschiedenen Symptomen aus. Einmal ein zu kleiner und stark zurückliegender Unterkiefer, (Retro)- Mikrogenie genannt. In 60 bis 80 Prozent der Fälle kommt eine Gaumenspalte dazu. Das letzte Symptom heißt Glossoptose, das heißt die Zunge fällt wegen des zu kurzen Kiefers zurück und die Atmung kann dadurch blockiert werden.

Die Ausprägung der Fehlbildung ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Bei der Hälfte der Betroffenen tritt sie in Kombination mit anderen Anomalien oder Syndromen auf. Je schwerer die Fehlbildung ist, um so größerer Probleme treten bei der Atmung und der Nahrungsaufnahme auf. Der Schweregrad wird in drei Klassen unterteilt. Bei Klasse 1 können die Babys mit dem Fläschchen gefüttert und teilweise auch gestillt werden. Liegen sie in Bauchlage kommt es zu keinen Atemproblemen.

In Klasse 2 müssen die Kleinen meist durch eine Magensonde ernährt werden, Die Atmung ist ähnlich wie in Klasse 1. Klasse 3 unterscheidet sich von Klasse 2 durch größere Atemproblemen. Neben der Magensonde brauchen die Kinder zudem einen Nasentubus.

„Die Schwester begleitet mich auf die Intensivstation. Mein Baby ist schon da, komplett verkabelt liegt er da in seinem Bettchen. Ein Monitor zeigt jede noch so kleine Ungenauigkeit an. Bei Sauerstoffabfällen unter 85 Prozent gibt er einen dumpfen, durchdringenden “Bing”- Signalton von sich. Ein Geräusch, welches ich mein Leben nicht wieder vergessen werde. Ich glaube, jede Mama und jeder Papa, dessen Baby auf der Intensivstation lag, kennt diesen Ton. Ein Ton, der sich ins Gehirn einbrennt; denn er bedeutet, dass etwas nicht stimmt. Ein Geräusch, dass dir sagt, dass mit deinem Baby etwas nicht in Ordnung ist. Unvergesslich.
Eine andere Frau kommt herein. Frau L: Ein Engel ohne Flügel, eine wunderbare Frau. Sie setzt sich zu mir und erklärt mir, was der kleine Mann hat und warum wir hier sind:
Seine Zunge befindet sich zu weit hinten. Im Rachenraum, anstelle im Mund. Deshalb ist sein Kinn so weit hinten. Der Unterkiefer ist zu klein. Das ist die Pierre-Robin-Sequenz. Dann die Gaumenspalte. Das fatale: Liegt er auf dem Rücken, kann es passieren, dass seine Zunge nach hinten fällt, in die Spalte; dann blockiert sie die Atemwege und mein kleiner Mann erstickt unbemerkt im Schlaf. Einfach so.
Nun erklärt sich auch, warum er nicht an der Brust und so langsam aus der Flasche trinkt. Durch die Gaumenspalte ist Mund-Nasenraum verbunden. Das heißt also, wenn er ein Saugvakuum aufbauen will, um zu trinken, zieht er die Luft durch die Spalte und somit durch die Nase wieder ein. Armes Baby.
Frau L. erklärt mir, dass noch heute ein Abdruck seines Gaumens gemacht wird, damit eine sogenannte Tübinger Gaumenplatte angefertigt werden kann. Sie sieht aus, wie diese Zahnspangen, die man raus nehmen kann und hinten hat sie ein verengtes Ende, das bis in den Rachen geht und die Zunge davon abhält, nach hinten zu fallen. Eigentlich ein ziemlich cooles Gerät, wie ich jetzt weiß.“

Ohne Behandlung der Gaumenspalte kann es zu Störungen der Sprachentwicklung, der Ernährung, Gesichtsmimik,Atmung, Gehör und Zahnentwicklung kommen. Außerdem kann es Probleme beim Wachstum des Gesichtes und des Kiefers geben. Die Behandlung ist vom Schweregrad der Spalte abhängig. Ziel ist es ein normales Äußeres zu bekommen und die normalen Funktionen für, Sprechen, Nahrungsaufnahme, Hören und Atmen zu erreichen. Die Gaumenplatte ist dazu der erste Schritt.

„Die nächsten Tage verbringe ich wie unter einer Käseglocke. Nur mein Sohn und ich in diesem Zimmer mit dem Bing-machenden Monitor. Unentwegt kommen Ärzte, Schwestern, Pfleger, Familie und Freunde rein und gehen wieder raus. Zum Glück besucht uns mein Mann jeden Abend nach seiner Schichtarbeit. Meine heiligen 30 Minuten am Abend, in denen ich die Schwestern bitte, nach unserem Sohn zu sehen, während wir uns auf dem Campus die Beine vertreten und mal durchatmen können.
Ich muss mir eingestehen, dass ich mir das nicht so vorgestellt hatte, aber gut, wer stellt sich so was schon vor? Ich hatte die naive Traumvorstellung, 2 Tage nach der Entbindung nach Hause zu können, mit einem ruhigen, schlafenden Baby im Maxi Cosi zur Wohnungstür herein zu kommen und dümmlich-glücklich zu grinsen – so wie in der verdammten Werbung!
Nun saß ich hier, zerfloss in Mitleid für meinen kleinen Stinker und auch ein bisschen für mich selbst. Unfähig, die ganze neue Situation zu erfassen; überhaupt irgendwas zu fassen. Ich fühlte mich wie im falschen Film, als wenn gleich einer reinkommt und sagt, „Ha! Da ist die Kamera!“ Aber leider kam niemand rein, der das sagte. Die Zeit raste unter meiner Käseglocke. Ich verbringe sie mit abpumpen, googlen, Baby füttern, googlen, Baby bekuscheln, versuchen zu Schlafen, googlen, versuchen zu essen, abpumpen…. Noch nie habe ich mir gewünscht, ein Tag habe mehr als 24 Stunden; da schon.
Der Tag ist da und mein kleiner Mann bekommt die Gaumenplatte. Beim Anpassen darf ich nicht dabei sein. Ich glaube, ich war denen zu hysterisch. Das haben sie natürlich nicht gesagt; aber sie haben so geguckt. Ironischerweise bin ich sonst nie hysterisch, vielleicht mal aufgebracht und wütend, aber dann muss man schon lange mit mir stänkern, bis das passiert. Es war, als hätte ich meinen normalen Charakter am Tresen abgegeben. “Hier, Frau S. bitte geben Sie uns Ihren Charakter; wir haben hier ein schönes, neues Modell, welches ihnen sicher gefallen wird!” Dass “hysterisch und weinerlich” draufsteht, haben sie nicht gesagt.
Frau L. kommt wieder rein, nimmt mein Baby mit. Ich warte eine Stunde, dann kommt sie wieder. “Er war ganz tapfer”, sagt sie, “Er muss heute Nacht aber in die Zentralüberwachung ins Schwesternzimmer. Und erschrecken Sie bitte nicht, die Gaumenplatte muss auch im Gesicht befestigt werden.” Oh oh..denke ich mir. Was kann denn jetzt noch kommen? Ich hatte mich gerade beruhigt und meinem neuen Charakter zu verstehen gegeben, dass ich ihn nicht behalten werde. Ich gehe zu meinem Sohn, meine Mutter im Schlepptau, schaue in sein Bettchen und da tippt mir der neue Charakter auf die Schulter; nein; er schlägt mir ins Gesicht. Ich breche in Tränen aus. Mein kleiner Schatz sieht ganz anders aus. Aus seinen Mundwinkeln ragen kleine Metalldrähte nach oben, bis zu seinen Nasenflügeln.
Am Ende der kleinen Drahtbügel sind weiße Schnüre, diese führen über Kreuz auf seiner Stirn zusammen und sind dort auf Zug festgeklebt. Jetzt hat er eine kleine Zornesfalte über der Nase, dabei ist er doch so ein süßer, lieber Kerl, denke ich mir. Die “Dackelfalte”, wie Frau L. sie liebevoll nennt, ist allerdings beabsichtigt und wichtig.
Er beginnt zu weinen, ich gleich umso mehr. Ich nehme ihn noch vorsichtiger als sonst aus dem Bettchen, schaukle ihn auf dem Arm. Ich drehe mich absichtlich nicht zu meiner Mutter um, denn ich habe gehört, wie sie geschluchzt hat. Wenn ich sehe, dass sie auch weint, schaffe ich es nicht mehr so zu tun, als würde ich klarkommen.
In den nächsten Tagen wird mir und meinem Mann beigebracht, wie man die Platte richtig wechselt, die Schnüre knotet, den Hautkleber entfernt und wieder aufträgt; ich mache Erste-Hilfe Kurse und habe mehrere durchgeschrieene Nächte hinter mir. Ein kleiner Zusammenbruch war auch Teil davon, allerdings habe ich es danach geschafft, dem neuen Charakter einen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen. Nun war ich wieder ich.
Doch er kommt, der Tag der Entlassung. Ich bin gar nicht nervös, oder aufgeregt; die Käseglocke war mir ans Herz gewachsen, doch es wird Zeit endlich nach Hause zu kommen.“
Über den richtigen Zeitpunkt der Gaumenoperation scheiden sich die Geister. Zwar soll der Gaumen schnellstmöglich verschlossen werden, um einer Störung der Sprachentwicklung entgegenzuwirken, andererseits ist eine spätere Operation besser, da die Narben das Wachstum des Kiefers hindern können. Häufig wird die OP mit etwa einem Jahr durchgeführt. Es hängt aber immer von dem individuellen Fall ab. Für ein optimiertes Ergebnis können weitere Eingriffe im Erwachsenenalter folgen. Diese können einen ästhetischen Hintergrund haben, indem beispielsweise die Lippen oder der Nasensteg verlängert wird, aber auch sprachverbessernde Gründe haben.
„Mittlerweile ist mein kleiner Held neun Monate alt. Die OP, beziehungsweise die Nachsorge waren die nervliche Hölle für den kleinen Mann und für mich, doch alles ist gut verlaufen und das ist die Hauptsache. Ich konnte mich endlich von den Spezial-Flaschen verabschieden, die mein Sohn gebraucht hat, und endlich konnte ich ihm schöne Nuckis kaufen – was die Frage aufwirft, WIE habe ich es vorher ohne Nuckis geschafft? Egal. Ich bin einfach unendlich froh, dass wir das gemeistert haben. Ich weiß, dass es so viele Eltern und Kids gibt, die es so viel schwerer hatten und haben, als wir. Aber das hier ist unsere persönliche Geschichte, mit allen Höhen und Tiefen die sie hatte.
P.S. Als wir mit dem kleinen Mann zum ersten Mal nach Hause gekommen sind, haben wir übrigens nicht dümmlich-glücklich gegrinst. Eher genervt, ein wenig hilflos vielleicht. Er hat geschrien, als gäbe es kein Morgen mehr. Soviel zu Wunschträumen 😉

Die Realität ist fies und ungerecht. Aber sie schreibt auch die schönsten Geschichten des Lebens.“

Wir wünschen dem kleinen Würmchen alles Gute für seinen Weg

Quelle: baby-und-familie.de, kindernetzwerk.de

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