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Ein Gastbeitrag von Simone aus Dortmund.

Ich möchte euch eigentlich nicht verurteilen. Ich verstehe, wie schwer das Mamasein manchmal sein kann. Wir müssen wöchentlich eine Million Entscheidungen treffen, die das Leben unserer Kinder nachhaltig beeinflussen können. Ich verstehe den Druck, dem wir permanent ausgesetzt sind. Wir wollen alle stets das Beste für unsere Kinder. Wir Mamas kümmern uns nicht nur um die Kinder, wir kümmern uns täglich noch um viele weitere Dinge. Ich fühle mit euch, wirklich…

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Es gibt sicherlich auch Begründungen, warum ihr euer noch sehr kleines und vor allem krankes Kind in dem Zustand in die Vorschule bringt. Ich hoffe jedoch, dass ihr dies hier lesen werdet, denn das hier ist die Geschichte meines Kindes. Ich hoffe, danach denkt ihr anders darüber…

Lasst mich mit den Gründen beginnen, auf Grund dessen ihr euer noch krankes Kind wieder in die Kita bringt, obwohl es noch nicht wirklich gesund ist:

  • Vielleicht warst du schon einige Tage nicht bei der Arbeit, sodass du Angst hast, dass du deinen Job verlierst, wenn du erneut nicht hin gehst.
  • Vielleicht hat dein Kind Geburtstag und es bettelt dich an, hingehen zu dürfen, damit es gebackene Muffins verteilen kann.
  • Vielleicht sagt dein Kind dir morgens, dass es ihm heute gut geht, obwohl es eigentlich immer noch leichtes Fieber hat.
  • Vielleicht ist heute ein besonderer Tag im Kindergarten und dein Kind freut sich schon so lange auf den Tag.
  • Vielleicht hat dein Kind in der Vergangenheit schon mal geflunkert und vorgegeben  „krank zu sein“, du bist dir also unsicher, ob du ihm diesmal glauben sollst.

Ich bin mir sicher, dass es noch weitere Millionen von scheinbar akzeptablen Gründen gibt, dein Kind zurück in die Kita zu schicken, immerhin sieht es „schon viel besser aus!“

Trotzdem hoffe ich, dass du es dir das nächste Mal zweimal überlegst, bevor du dein Kind zurück in die Kita bringst und bitte nochmal vor Kita-Antritt Fieber misst!

Hier kommt nämlich meine Erklärung:

Ich bin Mutter eines Kindes mit Diabetes Typ-1. Man kann diese Krankheit behandeln. Wir überprüfen ihren Blutzucker mehrmals täglich. Wir spritzen ihr Insulin, damit sie nicht stirbt. Wir hassen diese Krankheit. Wir leiden mit ihr und ihren kaputten Fingerkuppen und wir leiden mit, wenn sie täglich gespritzt werden muss. Wir hassen die Krankheit, weil wir die Komplikationen fürchten, die mit der Krankheit einhergehen. Wir hassen es, weil diese Krankheit unseren Alltag beeinflusst. Wenn meine Tochter krank wird, auch wenn es nur ein bisschen ist, vermasselt dieser Zustand alles.

Als sie endlich in die Vorschule kam, verbrachten wir fast eine Woche im Krankenhaus. Mit Unterbrechungen, allerdings gleich dreimal hintereinander wegen der Grippe. Die gleiche Grippe, mit der du dein Kind wieder in die Vorschule gebracht hast, als es ihm ja schon so viel besser ging.

Es fängt meistens an, wie jede normale Grippe auch, nur dass der Blutzucker meiner Tochter direkt durchdreht. Plötzlich wird es nahezu unmöglich, ihren Diabetes zu kontrollieren. Der Blutzucker ist plötzlich niedrig, dann viel zu hoch, dann noch höher und immer höher, dann beginnt die Übelkeit und sie fängt an zu erbrechen, jedoch nicht von der Grippe, sondern von einer Komplikation der Diabetes, genannt Ketoazidose. Sie dehydriert, weil sie alles, was sie zu sich nimmt, wieder erbricht. Ihre Augen wirken dann eingefallen und dunkel, und sie kann nicht aufhören, zu erbrechen. Dann schnalle ich sie auf den Rücksitz des Autos und fahre sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus, denn wenn sie keine Hilfe bekommt, stirbt sie.

In der Notaufnahme angekommen, wird sie sofort in ein Zimmer gebracht. Sie kennen uns dort bereits und alle wissen, dass es jetzt um Leben und Tod geht. Sie verfehlen die Vene ganz oft, weil meine Tochter bereits total dehydriert ist. Alles in allem stechen sie dann ca.a. sieben Mal in sie rein, bevor sie schließlich ein Ultraschallgerät benutzen, um eine gute Vene zum Stechen zu finden. Sie finden ihr Vene auch dann manchmal nicht. Sie rufen zusätzliche Hilfe und schließlich gelingt es jemandem, die lebensnotwendigen Flüssigkeiten in ihren Körper zu bekommen.

Mein Mädchen schluchzt. Ich weine mit. Das ist so eine große Scheiße.
Wir werden auf die pädiatrische Intensivstation verlegt, wo wir dann stets ein paar Tage verbringen, um ihren Körper wieder langsam aufzubauen.

Meine Tochter kann in dieser Zeit weder essen noch trinken und ihre Lippen sind total rissig und trocken. Sie bittet um etwas Wasser, nur um ihren Mund anfeuchten zu können, und ich muss immer wieder „nein“ sagen und ihr diesen Wunsch abschlagen. Ihre Infusionen stören sie. Sie tun ihr weh. Sie kann sich nicht bewegen. Sie kann noch nicht mal alleine auf die Toilette gehen.

Nach ein paar Tagen stabilisiert sich ihr Körper wieder und sie verlegen uns auf eine andere Station des Krankenhauses.

Ich frage mich, wann dieser Alptraum jemals enden wird und gleichzeitig ermahne ich mich selber, mich zusammenzureißen. Ich fange an mich zu fragen, wie meine Tochter überhaupt die Grippe bekommen konnte, aber ich weiß es schon, intuitiv. Sie wurde in der Vorschule von jemandem angesteckt.

Ich beginne ich mich zu fragen, wie ich mein Kind davor schützen kann, wieder krank zu werden, damit ich nicht für den Rest meines Lebens regelmäßig mit ihr in die Notaufnahme des Krankenhauses fahren muss. Ich kann sie nicht davor schützen und das ist mein größtes Problem. Ich kann mein Kind nicht Zuhause einsperren. Ich kann sie nicht vom Rest der Welt isolieren. Davon mal ab, tut eine Isolation keinem Kind gut.

Vielleicht steckt keine böse Absicht dahinter, bestimmt nicht. Ich möchte dich nicht verurteilen. Ich weiß, dass du nicht in unserer Situation steckst und du selber kein immungeschwächtes Kind Zuhause hast. Du denkst wahrscheinlich, dass die Grippe keine große Sache ist. Dein Kind wird einfach nur paar Tage krank sein und es wird locker darüber hinweg kommen und schon bald ist die Grippe nur noch eine ferne Erinnerung. Doch für einige Kinder und ihre Eltern ist die Grippe ein so traumatisches Ereignis, dass diese Kinder sogar eine Posttraumatische Belastungsstörung davon tragen können. Jetzt wo du alles von uns weißt, bin ich mir sehr sicher, dass du nächstes Mal anders entscheiden wirst, weil du auch eine Mutter bist und weil du dein Kind genauso liebst, wie ich mein Kind liebe.

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