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Ein Gastbeitrag von Silke aus Dortmund.

Als ich mich auf meine Couch setzte, meine Lieblings-Jogginghose trug und mich darauf freute endlich den Fernseher anschalten zu können, wurde mir plötzlich klar, dass es Samstagabend war. Mir wurde auch klar, dass es mir total egal war, dass ich mich an dem wichtigsten Abend der Woche an keinem anderen Ort als in meinem Wohnzimmer befand.

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Ich realisierte in dem Moment, dass ich anscheinend jetzt wirklich erwachsen bin.

Oder besser gesagt wusste ich ganz genau, dass ich mich definitiv nicht mehr in meinen Zwanzigern befinde.

Mein 20-jähriges Ich würde sich wahrscheinlich bei meinem Anblick, wie ich mir da mit einem Kelch Wein auf der Couch liegend drei Episoden von „Der Bachelor“ reinziehe (Hatte ich extra aufgenommen!), den Arsch ablachen.

Mein 40-jähriges Ich interessiert sich kein Bisschen dafür, ob die 20-Jährige über mich und meine bequeme Jogginghose lacht.

Ich finde es total klasse, nicht mehr 20 zu sein.

Damals als Teenager hatte ich total große Angst davor, irgendwann mal vierzig zu werden. Als meine Mutter meinem Vater zum 40. eine „die besten Jahre sind vorbei“-Überraschungsparty schenkte, schmückte sie das Haus mit schwarzen Luftballons und Luftschlangen und wir hatten einen Kuchen, auf dem ein Foto eines alten, fetten Mannes abgebildet war. Sie nannten ihn alle „Alten Mann“ und ich erinnere mich noch lebhaft daran, dass ich glaubte, dass mit 40 das Leben so gut wie vorbei sein musste.

Mein 13-jähriges Ich entschied sich in dieser Nacht, niemals alt oder gar 40 Jahre alt zu werden, verdammt, NIEMALS!

Mit 25 erstellte ich eine dann Liste an Dingen, die ich niemals tun würde, sollte ich jemals 40 Jahre oder älter werden. Ich war fest entschlossen, dass ich niemals zu einer jener alten Damen verkommen würde, die an einem Samstagabend auf ihrer Couch saßen und nichts unternahmen. Ich würde meine Freiheit niemals aufgeben, ich würde um die Welt reisen und niemals einen KOMBI fahren. NIEMALS!

Mein 20-jähriges Ich würde überrascht sein, zu erfahren, dass ich es aufgegeben habe, mich zu wiegen. Ich vermisse die damalige Größe 36 nicht ein bisschen, und Größe 42 bedeutet, dass ich Wein trinken kann und hinterher immer noch in meine Hose passe.

Sie wäre schockiert zu erfahren, dass ich meinen Willen durchsetzen kann und nur noch das mache, was ich will. Ich gebe dabei einen Scheiß auf das, was andere denken.

Sie wäre erstaunt, dass ich bereits sieben Marathons gelaufen bin. Ich konnte das früher nicht, weil ich damals nicht fit genug war, heute bin ich das sehr wohl. Babys, riesige Mutterhüften und der Wunsch, ein Minimum an geistiger Gesundheit aufrecht zu erhalten, können eine Frau dazu bringen, laufen zu gehen.

Mein 20-jähriges Ich würde über meinem großen SUV kichern und sie würde bei den Gedanken an meinen Fahrgemeinschaftsplan mit den Augen rollen.

Sie würde froh sein, zu hören, dass ich noch immer alles stehen und liegen lasse und anfange zu rocken, wenn Jon Bon Jovi im Radio läuft. Weil einige Dinge sich tatsächlich NIE ändern werden.

Sie würde froh sein, zu wissen, dass ich nach Jahren voller Dates mit Männern, die allesamt nicht gecheckt haben, was ich wert bin, eine beständige Liebe fand. Diese beständige Liebe bedeutet nicht in einem Berg von Rosen zu erwachen, Candle-Light-Dinner zu bekommen oder gar lange Nächte unter einer Decke zu verbringen. Es bedeutet, dass man morgens um 2 Uhr zusammen Kotze aufwischt und ganz genau weiß, dass er in dieser Nacht nirgendwohin gehen wird.

Okay, ich will nicht lügen. Sie würde sich ihren Arsch ablachen, wenn sie meine Unterwäsche-Schublade sehen würde. Spitzenwäsche und durchsichtige Höschen wurden durch Baumwoll-Schlüpfer und Sport- BH´s ersetzt. Na und? Ich war nie glücklicher als in meinem Sport- BH.

Mein 20-jähriges Ich würde erleichtert sein, zu erkennen, dass ich das Glück gehabt habe, keine Mietzahlungen mehr auslassen zu müssen, nur um mir etwas zu Essen kaufen zu können.

Sie wäre enttäuscht, zu erfahren, dass meine weiteste Reise nur nach London ging und ich noch nicht die Welt bereist habe. Und sie würde ihre Augen verdrehen, wenn ich ihr sagen würde, dass die beste Reise, die ich je gemacht habe, eine Autoreise nach Berchtesgaden mit meinen zwei Kindern im Schlepptau war. Ich habe weder Big Apple, noch die Chinesische Mauer gesehen, aber all das hätte niemals besser sein können, als meine Kinder über eine Weide in den Bergen tollen zu sehen.

Mein 20-jähriges Ich würde erkennen, dass sie ihren Vater hätten fester umarmen sollen, jedes Gespräch mit ihm hätten genießen sollen und sie mehr Zeit ihm hätten verbringen sollen. Sie wäre traurig zu hören, dass er jetzt nicht mehr da ist.

Sie würde erleichtert sein, zu hören, dass Patrick mit Annika zusammen ist und sauer, dass Seinfeld endete. Und sie wäre genauso aufgeregt, endlich den Bachelor sehen zu können, wenn sie an einem Samstagabend zu Hause wäre, vermute ich.

Mein 20-jähriges Ich, würde, wenn sie wirklich ehrlich zu sich selbst wäre, wahrscheinlich heimlich zugeben, dass mein 40-jährige Ich gar nicht so kacke ist und dass sie sich sogar freuen kann, wenn ihre „besten Jahre“ vorbei sind. Sie würde wahrscheinlich auch ihre Meinung über 40-jährige ändern, wenn sie hört, dass Sex mit der Erfahrung, die mit dem Alter kommt, besser wird. Sie würde erkennen, dass sie mit 40 keine Angst mehr haben muss, die besten Jahre des Lebens zu verpassen.

Ich würde ihr gerne neben mir auf der Couch Platz machen, aber sie ist wahrscheinlich zu sehr damit beschäftigt, sich zu schminken und tanzen zu gehen.

Das ist okay, ich werde hier einfach auf sie warten.

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