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Ein Gastbeitrag von Sabine aus Moers

*Seufz* Heute Abend bin ich eine von den Mamas, über die ich sonst nur lächeln kann. Ich konnte meinen ältesten Sohn nicht ins Bett bringen, weil der Gedanke, dass er morgen den ganzen Tag ohne mich auskommen muss, mich überwältigt hat. Unser Sohn wird morgen eingeschult. Vielleicht bin ich einfach hormonell zu nah am Wasser gebaut, keine Ahnung. Mein Mann musste unseren Sohn jedenfalls ins Bett bringen.

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Normalerweise, wenn ich z.B auf Facebook einen Post lese, indem eine Mutter sich darüber auslässt, wie unfassbar traurig sie darüber ist, dass mit der Schule ein neuer Lebensabschnitt beginnt, dann war ich diejenige, die direkt weiter gescrollt hat. „Pffff, die kann einfach nicht loslassen“, dachte ich mir stets.

Tja, Fakt ist, einen Tag vor der Einschulung bin ich ein emotionales Wrack, das sich heimlich im Bad versteckt. Mein ältester Sohn war zugleich auch mein Lehrer. Er hat mich zur Mama gemacht. Von all unseren Kindern hat er alle meine Erfahrungen als Mutter zuerst erlebt. Wir haben zusammen gelacht und geweint und einige ziemlich intensive Dämonen zusammen bekämpft.

Ich wuchs unter aggressiven Verhältnissen auf. Die ständige Angst vor den Übergriffen meiner Mutter bremste mich im Leben total aus. Ich lebte in ständiger Angst. Ich verbrachte Stunden damit, das Haus zu putzen, bevor sie von der Arbeit kam, weil ich hoffte, dass sie dann stolz auf mich ist. Leider war das nie der Fall. Irgendetwas machte ich IMMER falsch.

Dem Schreien folgten immer Schläge oder Ohrfeigen, und bis heute erinnert mich das Klappern von Schubladen, wenn jemand wütend ist, daran, wo die Holzlöffel aufbewahrt wurden und wie sie verwendet wurden. Ich erinnere mich heute noch lebhaft an die vielen Male, in denen ich mich in unserem Badezimmer einschließen musste, nur um ihrer Wut zu entkommen, die auf der anderen Seite der Tür klopfte. Ich war mir sicher, dass ich diese Eigenschaften nicht erben würde und das ich alles anders machen werde, sobald ich selber mal eine Mama bin.

Ich kann ehrlich sagen, dass die Wut mich nie so überwältigt hat, wie meine Mutter. Ich habe diese Grenze nie überschritten, wurde nie missbräuchlich. Aber das bedeutet nicht, dass ich die Wut nicht kenne, tief in mir drin, bettelnd, um wie eine lauernde Katze hervorzuspringen. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich mich damals im Badezimmer eingeschlossen habe, damit das wilde Tier in mir niemanden verletzt.

Wo kamen diese negativen Gefühle her? Ich kannte den Ursprung und war angewidert von mir selbst und gleichzeitig schämte ich mich schrecklich. Das sind nicht die Art von Geschichten, die du mit anderen Müttern beim Playdate besprichst- Da geht es um die ersten Schritte, die ersten Schwimmstunden und nicht um „Habe ich dir eigentlich von dem ersten Mal erzählt, als ich in ein Kissen schreien musste, damit ich mein Kind nicht zusammen schreie? Nein?“ Ich wollte doch so viel besser als meine Mutter sein.

Es war nicht einfach. Es ist bis heute nicht einfach. Aber ich habe mich entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Meine Umstände sind sicherlich anders als die meiner Mutter damals. Ich habe einen Partner und Unterstützung und Freunde an meiner Seite, die jederzeit für mich da sind. Es ist noch mehr: Ich hatte die Wahl. Ich stellte mein Kind über meinen Stolz und über die Stimme, die sagt: „Ich schaff das alles ganz alleine!“, und letztlich auch über meine Krankheit – Ich war und bin nicht bereit, ein Kind in Angst leben zu lassen, so wie ich in Angst leben musste. Ich wollte nicht, das meine Kinder vor jeder meiner Bewegungen zurückschrecken oder dass sie sich jeden Tag um das Verhalten und die Reaktionen ihrer Mutter sorgen müssen. Ich wollte keine Umgebung schaffen, die für sie mit Angst verbunden sind. Auf keinen Fall!

Ich habe so hart daran gearbeitet, um mit meinem 6-Jährigen an diese Stelle zu kommen. Sein Bruder und seine Schwester mussten sich noch nie mit mehr beschäftigen, als mit einer zugeschlagenen Tür oder einer leicht erhobenen Stimme. Sie mussten meine Zerrissenheit und die Angst vor den Dämonen meiner Vergangenheit nie erleben. Dank einer wirklich guten Therapie und der Unterstützung meines Mannes, bin ich kaum noch wütend. Ich atme ein und aus. Ich singe, anstatt zu schreien. Ich habe Mantren, die ich immer wiederhole, bis ich kaum noch sprechen kann. Das Wichtigste jedoch war, dass ich mich mit der Angst, die als Kind auf meiner Schulter saß und zu Wut aufwuchs, auch tatsächlich beschäftigt habe. Natürlich ärgern mich auch heute noch kleine Dinge aber es wird keine ausgewachsene Wut mehr daraus.

Der Witz ist, dass du denkst, dass du, wenn du Kinder bekommst, all die Ängste los wirst. Genau das Gegenteil ist der Fall: Deine Kinder bringen sie erst Recht an die Oberfläche. Ich war mir sicher, dass ich mich mit den Alpträumen, die ich als Kind ertragen musste, abgefunden hatte. Das Mamasein bringt genau die Dämonen wieder zu dir zurück, von denen du sicher warst, dass du sie hinter dir gelassen hast. Dein erstes Kind wird dein Lehrer sein.

Ich weine also, weil ich so unendlich dankbar für das Geschenk bin, welches er mir gemacht hat, und ich weine, weil die Schuld mir immer noch tief in der Magengrube sitzt. Ich bin mir übrigens auch ziemlich sicher, dass es immer da sein wird. Ich bin nicht immun gegen die Tatsache, dass ich mit Wut gekämpft und Fehler gemacht habe, aber ich bin zuversichtlich, dass wir eine Million glücklichere und unvergesslichere Zeiten hatten, als ich es jemals erleben durfte als Kind.

Ich spreche offen über mich und meine Vergangenheit, weil die Gedanken und Gefühle einfach raus müssen. Ich erzähle auch bei Playdates offen darüber. Warum? Nun, die Frauen, die meinen „Wutgeständnissen“ zuhören, sind diejenigen, die vielleicht ebenfalls betroffen sind und sich nicht trauen offen sein zu können.

Wenn niemand über diese Gefühle redet, wenn man seine Vergangenheit nicht thematisiert, dann erziehen wir eine weitere Generation von Kindern, die eventuell in ständiger Angst leben müssen. Und genau das will ich nicht.

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