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Ein Gastbeitrag von Verena aus Koblenz.

Ich telefonierte neulich mit meiner Freundin Eva. Eva ist der ewige Single-Typ. Sie lebt ihr Leben und ist sich noch nicht sicher, ob sie jemals Kinder haben möchte. Während ich sie noch vor kurzer Zeit bemitleidet habe, so wurde mir in diesem Telefonat deutlich: Alter Falter, ich würde gerade jetzt manchmal SEHR GERNE tauschen.

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Wisst ihr, ich liebe meine Familie. Ich vergöttere meine Kinder. Ich bin maßlos überfordert derzeit UND ich weiß, es geht vielen von euch ähnlich. WIR sind viele.

„Wir“ das sind diejenigen von uns, die sich inmitten einer weltweiten Pandemie befinden und gleichzeitig Eltern sind, einem scheinbar nicht enden wollenden sozialen Experiment, um herauszufinden, wie viel Menschen verkraften können, bevor sie offiziell als verrückt eingestuft werden. *Ironieoff

Ich stelle mir Evas Singleleben so vor: Sie muss tagtäglich die schwierige Entscheidung treffen WELCHE Jogginghose sie zum Zoom-Meeting in der Firma wohl anziehen wird, welches Buch sie weiterlesen wird und welche Netflix-Serie es am Abend wohl werden wird.  Ich stelle mir vor, dass Ihr größtes Problem derzeit die Langeweile ist.

Oh, Langeweile. Ein Luxusgut der Kinderlosen. Und sie haben verdammt recht, denn auch wenn ich sie früher dezent bemitleidet habe, so verstehe ich es jetzt: Ihr seid FREI!!!!

Eine andere Freundin sagte neulich zu mir: „Du, mir ist so langweilig, dass ich gerade eine Stunde lang heiß geduscht habe, kannst du dir DAS vorstellen?“

Eine Nachbarin fragte mich vorgestern: „Soll ich mir auch so einen angesagten Hula Hoop Reifen bestellen? Ich habe echt ALLE Netflix Serien durch!“

Ein Freund meines Mannes sagte: „Ich ziehe es irgendwie in Betracht, ein Buch zu schreiben. Ich meine, wenn nicht jetzt, wann dann? Oder?“

Gerade als ich dabei war, alle meine pandemischen Ängste aktiv in Hass auf diese eben genannten Menschen umzuwandeln, schrieb mir eine Single- und kinderlose Freundin eine Whats App Nachricht:

„Ich bin einfach so verdammt einsam.“

Dazu schrieb sie: „Den ganzen Tag mit einem Kleinkind zusammen zu sein, klingt irgendwie  sehr verlockend!“

Da wurde mir zum millionsten Mal in meinem Erwachsenenleben klar, dass die berühmte Medaille tatsächlich immer zwei Seiten hat.

Am Anfang des ersten Lockdowns sehnte ich mich nach meinem Leben vor dem Kind. Ich wollte mich so oft einfach mal einschließen und nur für mich sein, allerdings wurde mir das von meiner Zweijährigen Tochter nonstop verwehrt, denn sie wollte sich im Gegensatz zu mir nicht ausruhen oder ein Nickerchen machen. Sie wollte weder ruhen noch Netflix-Serien suchten oder gar ein gutes Buch lesen. Sie beharrte auf einer 24/7 Bespaßung.

Dann erinnerte ich mich an die Zeit zurück, als ich Single und kinderlos (oder frei oder was auch immer) war. Insbesondere Sonntags versank ich in Depressionen, weil ich keinen Grund fand, um aus dem Bett zu kommen. Ich hatte die nächste Arbeitswoche vor mir und keine wirklichen langfristigen Pläne. Ich dachte an all das, was ich tun könnte, das überwältigte mich und letztlich tat ich gar nichts von dem, was ich mir vornahm. Manchmal ging ich Sonntags zur Tankstelle, um mir Toast zu kaufen und dann merkte ich, dass ich seit locker 24 Stunden nichts mehr laut gesagt hatte, während ich mit der Kassiererin plauderte. Ich war dann doch immer dankbar, wenn der Montag kam und ich wieder arbeiten konnte und ich zumindest ein klareres Ziel vor Augen hatte: Das nächste Wochenende.

Ich weiß genau, daß, ich mich ein bisschen wie Jack Nicholson in The Shining fühlen würde, wenn ich zur derzeitigen Zeit Single wäre. Das wäre nicht schön. Jetzt, mit einem Kleinkind, einem Ehepartner und einem Vollzeitjob, bin ich zwar ständig erschöpft, schnell reizbar und eigentlich auch permanent am Rande eines Zusammenbruchs, aber ich bin auch motiviert, jeden Tag aufzustehen. Meinen Tagen fehlt es nicht an Sinn, sie haben ein Übermaß an Sinn nur leider hat ein Tag zu wenig Stunden.

Diese Pandemie ist eine Zeit der Extreme. Diejenigen von uns, die einen Partner und/oder Kinder haben, leben dieses Extrem 24/7: Familienzeit ohne Pausen. Diejenigen, die alleinstehend und kinderlos sind, leben das Extrem der Isolation und gleichzeitig sind sie sehr einsam. Was wir alle wollen, ist mehr Balance. Ich sehne mich nach Zeit nur für mich, weil ich genau davon zu wenig habe; wenn ich jetzt allerdings ohne meine Familie wäre, würde ich mich nach der Gesellschaft anderer sehnen (sogar eine Ansammlung von Kleinkindern würde sich verlockend anhören). Diese extreme Zeit ruft die Sehnsucht in uns hervor, wie oder was auch immer das sein mag, für jeden einzelnen.

Übrigens heißt das nicht, dass ich nicht mit den Augen rolle, wenn meine Single- und kinderlosen Freunde über die Auswahl ihrer Schaumbäder sprechen. Ich beneide sie immer noch. Ich ärgere mich immer noch, wenn sie sagen: „Ruf mich an, wenn du Zeit hast“, als ob sie glauben, dass ein solcher Zustand für mich im Moment GENERELL möglich ist. Aber ich versuche mein Bestes, diese Anrufe dennoch zwischen zu schieben. Ihr Wunsch nach Nähe steht oft in direktem Konflikt mit der Tatsache, dass ich ausgebrannt bin.

Ich versuche nach vorne zu schauen. Der Sommer 2021 wird kommen und mein Vorschlag an Eva wird sein: HIER, ich leihe dir mein Kind aus und ich lege mich dann ne Runde in deine Badewanne und abends grillen wir zusammen, okay? Yeaaahhhhh.

 

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