Ein Gastbeitrag von Jule aus Mannheim
Irgendwann kommt die Frage immer. Auf jedem Schulfest, beim Kinderarzt, beim Einkaufen , bei Veranstaltungen. Eigentlich immer überall dort, wo sich viele Kinder mit ihren Eltern rumtreiben. Ich bin darauf vorbereitet.
„Na, und wie viele Kinder hast du?“
Meine Antwort lautet immer: „Vier. Ich habe vier Kinder!“. Meistens gewinnen die Personen dann mit dem Zählen. Die fragende Person guckt dann meist komisch, weil nur drei Kinder um mich herum wuseln. Leider kommen auf meine Antwort hin immer noch mehr Fragen zum Vorschein. Ich biete ihnen ja auch eine Steilvorlage.
„Ah, dann hast du eins bei Oma und Opa gelassen?“ Diese Frage wird mir meist von lächelnden Grauhaarigen gestellt, die einem quasi mit der „Stolze Großeltern Flagge“ ins Gesicht wedeln.
„Macht der Papa heute den Babysitter?“ Das wird normalerweise von neugierigen Frauen mittleren Alters gefragt, in der Hoffnung, dass es wirklich keinen Papa mehr an meiner Seite gibt, so dass sie etwas Spannendes haben, das sie später mit ihren ebenso neugierigen Freundinnen teilen können. Ich trage meinen Ehering häufig an meinem Mittelfinger, somit wird dies oft nach einem kurzen Blick auf meine Hände gefragt. (Randbemerkung: Papas „babysitten“ nicht; sie sind Eltern. Genau wie Mamas.)
„Na, heute nur die Light – Version? Vier Kinder sind ja ne Menge! „Das kommt von Leuten, die ich gerne die „Ach- echt? Sherlocks“ nenne. Sie weisen auf das Offensichtliche hin, um beiläufig ihre Ideen zu verstärken. Normalerweise drehen sich ihre Ideen darum, dass vier Kinder ganz schön viele Kinder für eine einzige Person sind. Seltsamerweise sind diese Leute die gleichen, die gegen Geburtenkontrolle sind. Krass, oder?
Ihre Fragen und das Gespräch enden für gewöhnlich, wenn ich sie mit meiner schmerzhaften Wahrheit konfrontiere.
Mein ältester Sohn starb, als er fünf Jahre alt war.
Der 3. November 2011 war der schlimmste Tag meines Lebens. Sieben Tage vor meinem siebenundzwanzigsten Geburtstag, schlug das Schicksal erbarmungslos zu und nahm mir meinen ältesten Sohn. Es kam plötzlich und es war so entsetzlich, es war wie eine Atompilz, der inmitten unserer Familie explodierte. Der Schmerz dieses Verlustes strahlte aus und traf jeden, den er berührte. Alle Betroffenen wurden unweigerlich bis ins Mark getroffen. Wir waren am Ende.
Auch, wenn ich jetzt schon länger ohne ihn leben muss, so ist ist das Erklären dieses Schmerzes immer noch unbeschreiblich schlimm. Besonders dann, wenn es um total Fremde geht, die eigentlich gar kein echtes Interesse an mir oder meiner Familie haben. Viele Menschen wollen nur etwas über dich erfahren, damit sie das Gesagte in ihrer internen Klatschbank aufbewahren können. damit ist mein Schicksal etwas gegen Langeweile. Ich kann es nicht ertragen, dass etwas so unglaublich Schreckliches auf Ego-erhöhendes Geplapper reduziert wird.
In dem gleichen Moment, indem ich gefragt werde, bin ich überfordert. Zu sagen, ich hätte drei Kinder, wäre eine Lüge. Es wäre die größte Lüge, die ich je erzählt habe. Auch wenn er physisch nicht hier ist, so ist er in jedem Moment meines Lebens doch anwesend und mit dabei. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Und auch wenn er im Himmel ist, so ist und bleibt er immer noch mein Kind.
Mein Weg ist sicherlich kein einfacher. Meine Antwort passt nicht jedem. Mein Vater verlor seinen einzigen Sohn, als ich noch ein Kind war. Jahre später, als ich älter war, hörte ich, wie er auf die Frage nach der Anzahl seiner Kinder stets antwortete: „Zwei Kinder. Ich hab sie beide Zuhause gelassen“ Ich kann diese Art von Antwort verstehen. Das kann ich wirklich. Den größten Schmerz seines Lebens offenbaren zu müssen, macht einen total verletzlich. Es gibt Menschen, die das nicht verstehen können. Und das ist in Ordnung. Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, um seine Trauer zu bewältigen- Es gibt keine Regeln, wie Eltern mit dem Verlust eines Kindes umgehen müssen. Mein Weg ist der Weg, mit dem ich umgehen kann.
Er wird immer ein Teil unserer Familie sein. Es ist total egal, wer diese Frage stellt, es ist egal, welche Absicht dahinter steckt, mein Sohn wird immer mit aufgezählt.
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Ich habe vier Kinder.
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