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Ein Gastartikel von Nina aus Chemnitz

Ach jaaaaa, bevor ich noch keine Kinder hatte, habe ich ziemlich oft laut rumgetönt, das ICH gewisse Sachen NIEMALS machen würde. Wie kann man nur…….

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Dann wurde ich Mutter und die Welt sah plötzlich ganz anders aus.

Nachdem mein erster Sohn geboren wurde, habe ich ziemlich schnell gelernt, dass es bestimmte Dinge gibt, die wir als Eltern anscheinend nicht laut aussprechen dürfen. In meiner ersten Krabbelgruppen-Stunde bat uns die fröhliche Kursleiterin, unsere ersten Eindrücke vom Mama- Sein mit allen Anwesenden zu teilen. Eine Mutter sagte, sie sei überrascht von der „überwältigenden Liebe“, die sie für ihre Tochter empfand. Eine andere Frau sagte, sie sei erstaunt, dass „ihr Herz so viel Platz für diese bedingungslose Liebe habe“ Eine andere Mutter sagte, sie hätte nie geglaubt, dass es Liebe auf den ersten Blick gibt.

Nun, ich habe wohl nicht die „richtige“ Antwort gegeben, denn als ich mit einem ängstlichen und traurigen Zittern in meiner Stimme sagte, dass „ich mich zeitweise sehr überfordert und einsam fühle“ war es augenblicklich still im Raum. Alle starrten mich an.

An diesem Tag habe ich gelernt, dass es anscheinend bestimmte Dinge gibt, die Eltern vielleicht zwar durchaus fühlen, sie aber einfach nicht aussprechen dürfen. Es gibt Geheimnisse, die wir für uns behalten „müssen“. Es gibt Dinge, die wir einfach nicht zugeben DÜRFEN.

Ich sage euch jetzt was: Ich habe keine Lust mehr, allen etwas vormachen zu müssen. Ich habe keine Lust mehr, alles mit mir alleine ausmachen zu müssen. Ich bin es leid, den fetten rosa Elefanten im Raum zu ignorieren. Ich habe diese Geheimnistuerei so satt.

Und wenn ich die erste und einzige Frau bin, die sowas öffentlich anspricht, dann ist das eben so.

Ich spreche hier eines meiner größten Geheimnisse aus: Ich habe manchmal keine Ahnung, was ich da eigentlich tue!

So. Ich habe es gesagt.

Bevor ich Kinder hatte, dachte ich, dass dieses Erziehungsding ganz von alleine kommen würde. Ich bin eine gebildete Frau und ich werde von vielen Leuten unterstützt. Ich nahm an, dass ich instinktiv wissen würde, was zu tun ist, und in den paar schwierigen Situationen, wenn ich es mal nicht weiß, würde ich einfach um Rat fragen. Oder in einem Buch lesen. Es gibt doch so viele Erziehungsratgeber. So stand ich da, ausgerüstet mit meiner Intuition und ich nahm an, dass mein Mann und ich das garantiert easy peasy rocken werden. Tja…..

Ich wusste leider nicht, dass es Nächte geben würde, in denen ich stundenlang wach liegen würde, weil ich ein Problem eben nicht lösen konnte. Ich wusste nicht, dass es Zeiten geben würde, in denen ich, nachdem ich unzählige Blogs und Selbsthilfebücher gelesen hatte und Rücksprache mit Freunden und Familie gehalten habe, immer noch nach meiner abwesenden Intuition suchen würde und dann immer noch nicht wusste, was ich tun sollte. Ich wusste nicht, dass fast alles – von Still- und Schlafgewohnheiten bis hin zu Wutanfällen und Erziehung – mit einer Million verschiedener Möglichkeiten einhergehen würde und alles seine Vor-und Nachteile hat.

Ich wusste nicht, wie oft ich innerlich schreien werde: ICH HABE VERFLUCHT NOCH MAL KEINE IDEE, WAS RICHTIG UND WAS FALSCH IST!

Stillen oder Fläschchen? Babybett oder Familienbett? Pucken Ja oder Nein? Erziehung oder Beziehung? Klavierunterricht oder Fußball?Grenzen setzen oder nicht? Arbeiten oder zu Hause bleiben? Fernsehen lassen oder ganz verbieten? Wie viel hilft man bei den Hausaufgaben? Und so weiter….und so weiter……

Mein Ältester ist elf Jahre alt. Plötzlich steht die Pubertät vor der Tür. Er hat sich sehr verändert. Er zweifelt an seinem Aussehen, an seinem Können, ja, an sich….Wieso hat mir niemand davon erzählt, bevor ich Mutter wurde, verdammt???

Kinder kommen ohne Gebrauchsanweisung auf die Welt, und selbst wenn es eine gäbe, so müsste es ja für jedes Kind und jede Familie ein gesondertes Exemplar geben. Also, was wäre eine Gebrauchsanweisung wirklich wert? Ein Kind bedeutet Neuland. Für jeden von uns. Wir müssen erst lernen, wie wir das alles schaffen. Und manchmal wissen wir einfach nicht, wie etwas funktioniert.

Aber anstatt einfach zuzugeben, dass wir es nicht wissen, behalten wir es für uns. Wir liegen nächtelang wach, weil wir zu viel nachdenken. Oder vielleicht geben wir jemand anderem unaufgefordert Ratschläge in der Hoffnung, eine Bestätigung für unsere eigenen Entscheidungen zu bekommen. Oder wir werden defensiv, urteilen oder kritisieren, weil – Gott bewahre! – Es könnte tatsächlich mehr als einen „richtigen“ Weg geben, etwas zu tun.

Eine der schlimmsten Erfahrungen für mich als Mutter war diese absolut brutale und erdrückende Einsamkeit, die ich manchmal empfunden habe. Als mein erster Sohn geboren wurde, war ich schockiert darüber, wie einsam ich mich fühlte, obwohl ich ja eigentlich gar nicht einsam war. Ich konnte noch nicht mal alleine pinkeln gehen und trotzdem fühlte ich mich in meinem ganzen Leben noch nie so einsam. Es fühlte sich so an, als wäre ich auf einer einsamen Insel oder in einen Schützengräben gefangen gehalten. Es fühlte sich so an, als könne mich niemand so richtig verstehen.

Eigentlich sollte sich keinen Mama so einsam fühlen müssen. Lasst uns einfach all das Vortäuschen stoppen. Teilen wir unsere Kriegsgeschichten miteinander. Lasst uns einander die Hand reichen und uns gegenseitig aus den Schützengräben ziehen. Stellen wir uns dem rosa Elefanten im Raum. Lasst uns die hässliche, ehrliche Wahrheit erzählen. Lass uns aufhören Angst vor den Reaktionen der anderen zu haben, wenn wir uns berichten, wie wir uns wirklich gefühlt haben.

Denn, weiß du was? Auch wenn wir manchmal das Gefühl haben, dass wir überhaupt keine Ahnung von dem haben, was wir tun, sind uns unsere Kinder doch erstaunlich gut gelungen.

 

 

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1 Kommentar

  1. Sehr schön geschrieben.
    Alle werden irgendwo ihre Sorgen haben. Da allerdings von der geschönten Medienwelt vorgegaukelt wird, dass nur funktionstüchtig und perfekt in Ordnung ist, werden sich die wenigsten das eingestehen. Dazu braucht man eine gehörige Portion Selbstbewusstsein.

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