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Ein Gastartikel von Stephanie aus Bremen

Neulich las ich einen Erziehungsratgeber des englischen Exzentrikers Tom Hotgkinson. Das Buch heißt „Leitfaden für faule Eltern“ und im Grunde genommen geht es um folgendes:

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Zitat: 

„Wie erziehe ich mein Kind? Regel Nummer eins: Lass es in Ruhe. Regel Nummer zwei: Lass es in Ruhe. Regel Nummer drei: Lass es in Ruhe. Für den Anfang ist das genug.“

Es geht also darum, dass wir unseren Kindern keine ständigen Aktionen, Ausflüge, Unterrichtsstunden etc. anbieten müssen, damit sie zu guten Menschen werden. Es reicht, sie einfach Kinder sein zu lassen. Das einzige, was mich daran stört ist der Begriff „faul“ in dem Zusammenhang.

Das Wort „faul“ bedeutet in unserer Gesellschaft nichts Gutes. Kindererziehung an sich ist nicht immer einfach, sie erfordert viel Zeit, Mühe und Liebe. Man kann diesen Prozess nicht „faul“ angehen. Irgendwie klingt das für mich so, als könne man faul auf der Couch liegen und die Kinder getrost ignorieren. Ignoranz ist definitiv kein gutes Mittel.

Wir könnten den Begriff „faul“ also durch „entspannt“ austauschen und dann macht das für mich Sinn. Entspannte Erziehung bedeutet demnach, dass wir unseren Kindern die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren OHNE ständig wie ein Helikopter über ihnen schweben zu müssen. Entspannte Erziehung gibt Kindern Zeit und Raum für freies Spiel, was den Erwachsenen wiederum ebenfalls Zeit und Raum verschafft, um in der Nähe der Kinder das zu tun, was ihnen gut tut. Lesen zum Beispiel. Entspannte Erziehung bedeutet auch, dass Kindern sehr wohl mal langweilig sein muss. Eltern halten sich bewusst raus aus den Konflikten der Kinder, um sie selbst für eigene Lösungswege zu öffnen.

Ich ärgere mich immer noch über das Wort „faul“. Heutzutage kann man gar nicht wirklich „faul“ sein als Eltern. „Faul zu sein“ impliziert, dass das Maß an Engagement, was wir mit unseren Kindern veranstalten normal ist (Geigenuntericht, Tanzen, Ballet, Sport…) und das alle, die das so nicht machen gleich „faul“ sind.

Das ist doch Bullshit, oder?

Für mich als Mutter ist es verdammt schwierig, nicht immer „sei vorsichtig“ zu sagen, wenn sie mal wieder ihre Schuhe nicht richtig zugebunden zu haben. Aber dennoch lasse ich sie diese Erfahrung selber machen, dann kommt es eben mal zu einem aufgeplatzten Knie. Das müssen sie lernen. Die Schmerzen, die Tränen und das Blut sind Teil dieses Prozesses. Gleichzeitig kennen meine Kinder die Regel, IMMER Helme tragen zu müssen. Mein Leitsatz dazu ist folgender: Blutige Knie sind o.k., eine Kopfverletzung jedoch nicht.

Ich musste selber erst lernen, dass meine Kinder viel besser und freier spielen können, wenn ich sie nicht ständig dabei störe. Es hat gedauert, bis sie in der Lage waren, auch ohne Mamas Anweisungen zu tollen Ideen zu kommen und es hat sich wirklich bezahlt gemacht.

Wir haben die außerschulischen Aktivitäten nämlich ganz bewusst gedrosselt und die Nachmittage nach Kita und Schule bewusst offen gehalten. Die Hetzerei drei Kinder zu unterschiedlichen Aktivitäten bringen zu müssen, hat uns auch nicht wirklich gut getan. Natürlich waren einige dieser freien Nachmittage nicht immer ganz fluffig. Aus vermeintlicher Langeweile entstanden Rivalitäten zwischen den Geschwistern. Es wurde sich ums IPAD und um die Playstation gezankt. Es wurde sich um Bücher und um Fernsehsendungen gezankt. Der eine hat die Schokolade aufgegessen? Wildes Geschrei und ein böser Streit waren die Folgen.

Aber wisst ihr was? Wir sind unserem Kurs trotzdem treu geblieben. In den letzten Monaten ist etwas dann etwas seltsames passiert. Unsere Kinder schienen tatsächlich begriffen zu haben, dass sie auf sich allein gestellt sind. Ich lasse die „Mir ist ja sooo langweilig“ Phrasen einfach an mir abprallen und siehe da, sie beschäftigen sich miteinander. Neulich kamen meine beiden z.B. Jungs aus dem Keller hoch, um mir zu zeigen, dass sie einen Roboter aus Pappkartons gebastelt hatten. Ganz allein. Sie haben sich sogar ein ausgeklügeltes Spiel ausgedacht, das irgendwie sogar die Bedürfnisse des 3-Jährigen befriedigte.

Vor dieser Umstellung gab es häufig Wochenenden, an denen ich die Stunden gezählt habe, bis ich endlich wieder zur Arbeit gehen kann, und ich dachte so oft: „Vielleicht sollten wir sie in noch mehr Kurse stecken, damit ihnen nicht dauernd so langweilig ist“. Diese freien Nachmittage aber haben letztlich genau das erfüllt, was ich mir für meine Kinder immer gewünscht habe. Meine Kinder nutzen ihre Fantasie, sie können sich im freien Spiel viel besser entfalten und sie streiten sich auch viel weniger. Natürlich klappt das nicht die ganze Zeit, aber die Tatsache, dass es überhaupt klappt, grenzt schon an ein kleines Wunder.

Um in diese Entspannung zu kommen, brauchte es allerdings auch einige Veränderungen meinerseits. Ich musste bewusst „Loslassen“.

Letztlich ist es doch total egal, wie man diesen Erziehungsstil nennt. ICH für mich akzeptiere das Wort „faul“ ebenso wenig wie „nachlässig“ oder „uninteressiert“.

Wenn eine Freundin mich fragt, wie ich meine Kinder erziehe, dann sage ich immer, dass ich meine Kinder ziemlich „old school“ erziehe. Ich lasse sie draußen spielen, ich kaufe ihnen nicht jeden Tag ein neues Plastik Spielzeug und ich finde auch, dass Zeichenunterricht oder Mandarin Unterricht nur dann sinnvoll ist, wenn meine Kinder sich das von sich aus wünschen.

Im Prinzip gibt es für mich nur einen Leitsatz: Unser Alltag ist ihre Kindheit. Und Kindheit bedeutet: Frei sein, Spaß haben und spielen. Ende.

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