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Ein Gastbeitrag von Leni aus Göttingen

Die letzen Wochen waren echt hart. Mein Sohn (6 Jahre) hatte, nachdem er eingeschult wurde, eine echte harte Phase. Es fiel ihm schwer, den Kita-Alltag hinter sich zu lassen und sich an die neue Schulsituation zu gewöhnen. Er war nonstop wütend, aggressiv und traurig. Um es ganz offen zu sagen: Ich fühlte mich wie eine totale Versagerin, denn all meine Tricks, die ihn sonst beruhigten, schlugen fehl. Es war so unfassbar anstrengend.

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Die Leute aus meinem Umfeld kamen natürlich mit klugen Ratschlägen ums Eck. Ich solle ihn doch für einen Karatekurs anmelden, da lerne er dann Disziplin und Selbstbeherrschung. Zuerst habe ich den Vorschlag abgelehnt. Dann habe ich tatsächlich in ein paar Sportvereinen angerufen. Jeder Sportverein wollte, dass ich mein Kind mindestens zweimal pro Woche zum Training bringe und mich selbst bitte auch für Wochenendturniere engagiere.

Ich hörte spätestens dann auf zuzuhören, als ich über Gürtelfarben zugedröhnt wurde. Ihr dürft mich nicht falsch verstehen, Karate kann für einige Kindern wirklich genau das Richtige sein, darum gehts nicht. Ich fing nur an zu denken, dass vielleicht etwas mit meinem Kind nicht stimmen könnte. Sind meine Erwartungen an ihn zu niedrig? Muss er sich kontrollieren können?

Eine Woche später stand ich mit meinen Kindern und meinem Mann in der Schlange an der Eisdiele. Ein Nachbar stand auch in der Schlange und er plauderte mit meiner achtjährigen Tochter und fragt sie, welche Art von Sport sie eigentlich macht. Sie erzählte ihm, dass sie gerade Schlagzeugunterricht nimmt, früher hatte sie mal Fußball gespielt aber dazu hat sie eben keinen Bock mehr. „Du machst keinen Sport mehr!?“fragte er und zeigte sich verwundert. Danach stellte er dieselbe Frage auch meinen anderen Kindern. Ich habe vier Kinder, falls ich euch das noch nicht erzählt habe.

Meine Älteste antwortete, dass sie keinen Sport mag. Meinen mittleren Söhnen ist alles außer Paw Patrol gerade völlig egal. Und mein Kleinster hat noch keine Meinung zum Thema Sport. Seine Lieblingsaufgabe besteht momentan darin, seine Geschwister zu verfolgen und sie zu ärgern.

In unserer modernen Erziehungskultur dreht sich alles um die Aktivitäten nach der Kita oder nach der Schule. Je mehr, desto besser.

Alle Eltern, die ich beobachten konnte- sei es im Park, in der Schule oder der auf einer Geburtstagsfeier – stellen sich gegenseitig dieselbe Frage: „Und, in welchem Sportverein/Musikverein/Sprachschule/etc seid ihr so?“ DAMIT GEMEINT IST: Seid ihr auch so kultiviert wie wir oder etwa nicht?

Unser Erziehungsziel, nämlich aus unseren Kindern tolle, glückliche Menschen zu machen, hat sich verlagert. Sie müssen möglichst talentiert, ausgebildet und intelligent werden, damit sie später einen gut bezahlten Job finden und besser ausgebildet sind als andere. Demnach müssen sie bereits von klein auf an genau wissen, worin sie gut sind, damit sie darin bitte zu Höchstleistungen kommen.

Eltern wissen, dass diese halsbrecherische Speed-Rennstrecke, auf der wir uns befinden, verdammt anstrengend sein kann aber das wird ausgeblendet. Höher, weiter, schneller!

Meine Kinder sind nicht fantastisch, weil sie nachmittags Mandarin lernen oder zum Fußballtraining gehen. Wisst ihr was? Meine Kinder sind auch ohne diese Dinge einfach großartig!

Es gibt so schon genug Druck, der auf unseren Kindern lastet. Muss ich ihn noch künstlich erhöhen?

Außerdem fehl mir heutzutage mal ein gemäßigter Mittelweg innerhalb der Erziehungsmodelle. Es gibt keine Graustufen mehr. Entweder wir gehören zu denen, die wollen, dass ihre Kinder nicht zu hilflosen Armen mutieren, die nicht mal wissen, wie man eine Waschmaschine startet, oder wir gehören zu denen, die ihre Kinder komplett aus allem fern halten, damit sie sich bloß auf das Verfeinern ihrer Skills konzentrieren können. Wie man ein Handtuch wäscht, können sie später auch noch in der Uni lernen.

Tja und den gibt es noch unser Schulsystem. Die öffentliche Demütigungen, denen Kinder ausgesetzt sind, weil sie einfach nur Menschen sind, weil sie mal schlechte Tage haben oder weil sie etwas nicht verstanden haben, können verdammt weh tun. Stichwort: Klassenspiegel nach Klausuren.

Seit wann müssen Kinder soviel leisten und sich bitte immer korrekt und ausgeglichen verhalten? Dieses Niveau ist höher als der Anspruch an Erwachsene. Wer hat eigentlich entschieden, dass Kinder – deren Gehirn erst Mitte zwanzig überhaupt vollständig geformt sein wird – niemals versagen dürfen? Warum können sie kein High-Five bekommen, wenn sie durchschnittlich gut sind? Reicht das nicht?

Wir schröpfen unser Gehirn und unsere Bankkonten, um sicherzustellen, dass unsere Kinder bitte stets zu den besten, talentiertesten und klügsten gehören. Wenn wir Ziele für unsere Kinder erreichen wollen, dann müssen wir auch einen Blick auf die Person werfen, um die es da gerade geht; Um unser Kind.

Ich gebe zu, dass ich auch schon einmal in diesem Strudel von „HÖHER, WEITER, SCHNELLER“ gefangen war und ich sage euch, es macht keinen Spaß. Ich habe vier Kinder, vom Kleinkind bis zum Teenager ist alles dabei. Natürlich interessiert mich auch, dass meine Kinder später einen möglichst guten Job haben und natürlich laufe ich rot an, wenn mein Sohn in der Schule mal wieder Mist gebaut hat und mir einen Brief vom Lehrer mitbringt.

Es ist sicher nicht falsch, seinem Kind möglichst viel beizubringen. Ich halte es jedoch für wichtig, dass das Dinge sind, die dem Kind bitte auch richtig doll Spaß machen. Kinder haben heute mehr außerschulische Möglichkeiten, als wir das früher jemals hatten, und die Möglichkeiten sind verdammt vielfältig. Das alles ist super ABER es muss bitte auch vom Kind selbst gewünscht sein.

Fehler zu machen ist ein wichtiger Teil des Lebens. Scheitern gehört zum Leben dazu. Wenn mein Kind etwas außerschulisches lernen möchte, dann ist das selbstverständlich okay, insofern es in unserem Budget liegt. Dennoch wird keines meiner vier Kinder zu irgendetwas gezwungen, damit es womöglich später einmal besser ist, als andere.

Ich weiß, dass das, was wir tun, irgendwie oldschool ist. Meine Kinder sind nicht von morgens bis abends, sieben Tage die Woche, ausgebucht. Es gibt tatsächlich genug Zeit zum spielen oder Blödsinn machen. Wir schlafen am Wochenende aus und essen dann Pfannkuchen. Wir gehen schwimmen, treffen Freunde und wir gammeln rum.

Stelle ich unser langsameres Tempo in Frage? Manchmal. Ich schaue mich um und denke mir manchmal, tun wir da eigentlich das Richtige? Was ist, wenn ich meine Kinder doch nicht genug fördere? Dann schaue ich meistens in die grinsenden Gesichter meiern Kinder und alles ist wieder gut.

Ich werde täglich daran erinnert, dass meine Kinder bereits jetzt schon großartig sind. Meine Älteste ist organisiert, kreativ und verdammt klug. Sie kümmert sich einfühlsam um ihre Geschwister. Meine mittleren Söhne sind sportlich und sehr humorvoll und zudem haben sie ein großes Herz für alle Tiere dieser Welt. Und das Baby? Tja, das bringt hier jedes Herz zum Schmelzen. Ich meine, mit vier Kindern gibt es immer jemanden, der gerade in irgendeiner Phase steckt. Das gehört sich doch so, oder?

Meine Kinder sind nicht deswegen fantastisch, weil sie besonders viele Dinge könne, die andere nicht können. Sie waren schon immer unglaublich toll.

Wie viele Mamas auch, versuche ich unerbittlich, gute Menschen aus meinen Kindern zu machen. Natürlich vermittle ich ihnen Werte, so gut es mir eben gelingt.

Aber das ist noch längst nicht alles. Ein Teil der Erziehung von großartigen Kindern ist es, diese kleinen Menschen so zu nehmen, wie sie eben sind.

 

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