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Von Julia aus Bochum

Meine Tochter legte ihre neue Monster High Barbie nebst einigen neuen Barbie Outfits auf den Tresen des Spielzeugladens, und ich konnte die Stimme meines Mannes in meinem Kopf hören. „Braucht sie das alles wirklich?“

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Braucht eine Achtjährige wirklich ständig neue Stickeralben, Knete, Glitzerponys oder Barbiekleider? Oh, und eine große Tüte voller Einhorn-Kaugummis? Die Antwort lautet: Nein. Natürlich braucht meine Tochter all diese Dinge nicht. Wir gingen eigentlich in den Laden, um ihr ein Ballett-Kleidchen zu kaufen, das Einzige, was ihr noch fehlte, bevor sie endlich im Kreise der Prima Ballerinas aufgenommen würde.

Sie war so glücklich, als wir nach Hause kamen und sie stolz ihre neuen Sachen zeigte. Sie war auch nicht diejenige, die nach etwas anderem, außer dem neuen Ballett-Kleidchen gefragt hatte. Ich war die treibende Kraft hinter der zusätzlichen Geldausgabe, welches für unnötige Dinge ausgegeben wurde. Und genau wie ich es erwartet hatte, zog mein Mann seine Augenbrauen hoch, als meine Tochter all das „unnötiges Zeug“ aus der Einkaufstasche holte.

Ich wusste, worauf mein Partner hinaus wollte. Später an diesem Abend gab ich zu, dass es mit mir durchgegangen ist; der ganze Kram war mehr für mich gedacht, als für meine Tochter. Es war mein inneres Kind, das mich dazu trieb, das arme Kind, das alles gegeben hätte, um nur einmal in die Gelegenheit zu kommen, sich etwas Schönes aussuchen zu dürfen.

Ich wuchs ich ärmlichen Verhältnissen auf und ich wusste von klein auf, dass meine Familie kein Geld hatte. Wir erhielten staatliche Unterstützung. Wir wurden als Kinder schon zur Tafel geschickt, damit wir wenigstens einmal am Tag ein warmes Essen bekamen. Familienmitglieder mussten uns unterstützen. Obwohl wir wenig Geld besaßen, spielte Geld immer eine große Rolle in unserem Leben.
Mein Vater war oft arbeitslos und meine Mutter hatte ein paar Jobs parallel, damit wir über die Runden kamen; Es war ein stetiger Kampf. Die Vorfreude auf den nächsten Zahltag füllte unser Haus mit Euphorie. Und die Sorge, wann das nächste Paar Schuhe zu klein wurde, war allgegenwärtig. Unsere abgenutzten Möbelstücke in unserem Wohnzimmer waren kaum mehr zu gebrauchen. Wir ruhten uns nach der Schule trotzdem darauf aus, wir wussten zwar, dass andere Kinder weitaus moderne und bessere Sofas hatten, aber dennoch war es das, was wir zur Verfügung hatten und es war okay so.

Wir konnten die Rechnungen nicht immer pünktlich bezahlen, aber wir haben eine Menge aus bestimmten Telefonaten gelernt. Wenn meine Eltern Angst hatten, dass die Mahnabteilung anrief, wurden mein Bruder und ich gebeten, ans Telefon zu gehen, um ihnen zu sagen, dass unsere Eltern nicht zu Hause waren. Und als ich ein wenig älter wurde, lebte ich in der Angst, dass die Bank uns unser Haus weg nehmen würde, weil die Hypothek nicht bezahlt wurde. Geld war immer das, worüber sich meine Mutter und mein Vater stritten und laut wurden.

Sie verlangte von ihm, dass er mehr unternehmen müsse, als nur Arbeitslosengeld zu bekommen. Sie brauchte das Geld für Essen, für unsere Versorgung und für Kleidung. Die Kinder brauchten neue Schuhe und auch Bargeld, um an Schulausflügen teilnehmen zu können. Sie selbst verzichtete sogar auf ihre heiß geliebte Cola Light und das Auto fuhr ohne TÜV. Mein Vater schien stets daran erinnert werden zu müssen, dass sich diese Dinge nicht von selbst bezahlten. Zur Sicherheit ließ sie meinen Vater auch immer wissen, dass seine Spiel- und Nikotinsucht auch nicht umsonst waren.

Auch wenn ich das alles wusste und mich sogar für unseren wirtschaftlichen Status schämte: Ich war noch ein Kind. Ich wollte ständig neue Sachen haben. Das Marken-Zeug hat dir geholfen, dich integrieren zu können, besonders in der Oberstufe. Ich wollte die Marken-Sneakers statt der Deichmann-Variante. Ich brauchte Geld für die Buchmesse in der Schule. Ich wollte das coolste, neuste Spielzeug. Und anstelle von alten Turnschuhen und dem alten Fußball, den ich auf dem Spielplatz gefunden hatte, der mir eigentlich gar nicht gehörte, ich ihn aber trotzdem mit nach Hause nahm, wollte ich neue Schuhe und einen nagelneuen Fußball für die nächste Mädchenfußball Saison der Schule.

Sport war für mich immer meine Rettungsleine und gleichzeitig eine Fluchtmöglichkeit. Ich war von Natur aus unsportlich, aber ich war ehrgeizig und wild entschlossen. Ich habe mich dazu gezwungen, ein gute Sportlerin zu sein, weil ich auf dem Platz oder auf dem Rasen nicht nur meinen Kolleginnen ebenbürtig war, sondern ich war auch immer ein wenig besser. Wegen meiner Fähigkeiten war ich stets ein geschätztes Mitglied meines Teams. Im Gegensatz zu dem, was ich zu Hause erlebte, war ich beim Sport immer zuverlässig. Als ich meinen Platz auf dem Feld einnahm, war ich nicht das arme Kind von der anderen Seite der Stadt. Endlich wurde ich wahrgenommen.

Ich würde gerne behaupten, dass ich die Dinge meiner Kindheit immer wertgeschätzt habe, aber das wäre schlichtweg gelogen. Ich wusste, wie hart meine Mutter arbeitete, um für mich und meinen Bruder sorgen zu können. Ich erkannte auch, dass mein Vater nicht der Inbegriff eines Workoholics war – eine Tatsache, die mich mehr als einmal wütend werden ließ. Dennoch sehnte ich mich wie jedes andere Kind auch, nach neuen Spielzeugen und tollen Klamotten.

Ich möchte nicht, dass meine Kinder sich so fühlen müssen, wie ich mich ich als Kind fühlte, aber ich möchte auch nicht, dass sie mit einem Gefühl der Nachlässigkeit aufwachsen, wenn es darum geht, all das zu bekommen, was sie wollen. Ich möchte keine undankbaren Kinder großziehen, aber es ist wirklich befriedigend, sie manchmal verwöhnen zu können. Ich habe hart für das gearbeitet, was mir jetzt zur Verfügung steht, und ich bin mir sicher, dass meine Kinder das schätzen werden, ohne das sie die Last der Verantwortung spüren müssen. Ich weiß, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen und nicht allen Ansprüchen und Wünschen meiner Kinder nachzugeben.

Tja, manchmal werfe ich all meine guten Vorsätze dennoch über Board und kaufe Sachen für meine Kinder, weil es mich daran erinnert, dass es mir leider nie so erging. Und jedes Mal, wenn ich das tue, fühle ich mich schuldig und dankbar zugleich. Ich schaffe es dadurch, das Verlangen des armen, inneren Kindes zu befriedigen.

Mein inneres Kind erlebte dank meiner Tochter eine Genugtuung, als wir mit zu viel Spielzeug aus dem Laden gingen. Es war nicht das erste Mal. Und ich weiß, dass es nicht das letze Mal sein würde.

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