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Von Anna, 48, aus Bonn.

Ich werde nie den Tag vergessen, an dem meine Tochter mir erzählt hat, dass Paula, ein Mädchen in ihrer Klasse, sie nerven würde. Meine Tochter Emma war zu diesem Zeitpunkt  in der vierten Klasse.

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„Was macht sie denn?“, fragte ich sie.

„Sie folgt mir bis zum Spielplatz und will beim Mittagessen immer neben mir sitzen!“, kam wie aus der Pistole geschossen aus dem Mund meiner Tochter. Sie lächelte unsicher und tat so, als hätte sie mir einen beiläufigen Witz erzählt.

„Du meinst, sie versucht, mit dir befreundet zu sein?“, fragte ich ungläubig.

Mir wurde sofort klar, dass es sich hierbei um ein größeres Problem handeln würde. Meine Tochter Emma ist eines dieser total beliebten, hübschen Mädchen, die wirklich jeder mag. Alle wollen mit Emma befreundet sein. Wahrscheinlich wollte Paula einfach nur mit ihr befreundet sein, wahrscheinlich wollte sie einfach so sein wie meine Emma.  Ungünstigerweise war ich als Kind auch eher so wie Paula. Ich wurde auch von Mädchen mit einem natürlichen Selbstvertrauen nahezu magisch angezogen. Ich hatte Sommersprossen im Gesicht und furchtbar krause Haare, und ich war leider alles andere als beliebt.

Dieses Gespräch zwischen mir und meiner Tochter traf mich mitten ins Herz und brachte auch eine alte Wut wieder in mir hoch. Ich war mir sicher, dass ich diesmal nicht den Mund halten konnte. Ich wollte diesmal stärker sein, als jemals zuvor.

Der Kampf von zwei sehr willensstarken Menschen folgte direkt am nächsten Morgen bei uns zu Hause. Es war nicht schön, aber ich habe mich durchgesetzt. Meine Tochter besucht eine kleine Grundschule bei uns im Ort, in der sie täglich eine Handvoll ihr ergebener Mädels um sich herum „regiert“.  Ein kurzer Anruf bei Paulas Mutter am selben Abend bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Meine Tochter und ihre „Gang“ unternahmen ALLES, um sich von der lästigen Paula zu befreien.

Ich bin mir sicher, dass es Eltern gibt, die sagen würden, dass ich überreagiert habe. Ich jedoch glaube fest daran, dass die Ablehnung und das völlige Desinteresse meiner Tochter und ihrer Clique an Paula der Anfang einer subtilen Art von Mobbing war. Paulas Mutter und auch die Lehrer bestätigten mir, dass es keine offensichtliche Beleidigungen gegenüber Paula gab. Es gab nur Ablehnung – ein völliger Mangel an Interesse an jemandem, der es nicht verdient hatte, so behandelt zu werden. Nachdem ich selbst als Kind gemobbt wurde und ich mittlerweile Mutter dreier Kinder war, wusste ich instinktiv, dass diese Form der Ablehnung nur der Anfang einer immer schlimmer werdenden Mobbingspirale sein könnte.

Wir würden unseren Kindern meiner Meinung nach etwas Gutes tun, wenn wir mit ihnen ein offenes Gespräch über den Sozialdarwinismus führen würden. Ein offenes Gespräch darüber, was Menschen dazu bewegt, andere zu akzeptieren oder abzulehnen. Das geschieht nämlich in jedem Alter und jeder Phase des Lebens, das geschieht bei unterschiedlichen Religionen. Unsere eigenen Ängste vor Ablehnung und das fehlende Vertrauen in uns selbst, bringt Menschen dazu, andere Menschen abzulehnen. Jeder rangelt um seinen eigenen Platz in der sozialen Nahrungskette.

Ich habe den Eindruck, dass ich bei meinen Kindern nachweislich positive Erfolge erzielen konnte, indem ich diese Dynamik der Ablehnung zunächst genau erklärte. Eltern müssen Vorbilder sein, sie müssen sich der Thematik annehmen, bevor es zu spät ist. Wir müssen vor unseren Kindern zugeben, dass wir das auch als Erwachsene erleben. Natürlich ist es verlockend, sich immer dem beliebtesten Menschen anzuschließen, aber jeder einzelne Mensch verdient unsere Aufmerksamkeit und unseren höchsten Respekt. Jeder fremde Mensch kann unser Leben mit unerwarteter Freude füllen, wenn wir ihn nicht ausgrenzen und ihm eine Chance geben.

Es reicht nicht, seine Kinder lediglich dazu zu bringen, einfach nur „nett zu sein!“ – Es ist viel mehr, als nur das. Kinder denken, sie sind bereits nett, wenn sie einfach nur nicht unfreundlich sind. Wir wissen es besser. Erklärt euren Kindern, dass jeder Mensch einen darwinistischen Überlebensinstinkt hat, jeder Mensch will von anderen Menschen gesehen und geschätzt werden. Dieser Überlebensinstinkt hat uns vor dem großen Säbelzahntiger verschont, indem wir uns vor tausenden von Jahren der Gruppe angeschlossen haben, die uns vor dem sicheren Tod bewahren konnten. Das sind Urinstinkte, die wir heute besser verstehen können, als damals. Heute müssen wir nicht mehr nur ÜBERLEBEN, wir können es uns leisten, offen zu sein. Glaubt mir, Kinder verstehen diese Erklärung.

Was mein Mädchen betraf, wies ich sie an, dass sie etwas mehr Zeit und Energie investieren müsse, um Paula besser kennenzulernen. Ich beauftragte sie, am nächsten Tag von der Schule nach Hause zu kommen und mir von drei coolen Dinge zu berichten, die sie über Paula herausgefunden hatte, etwas, dass sie vorher nicht wusste. Mein willensstarkes Kind weigerte sich. Sie wollte das nicht tun. Ich bohrte dennoch weiter. Ich lehnte es vehement ab, sie am nächsten Morgen zur Schule zu fahren, solange, bis sie zustimmte.

„Lass es uns probieren!“, ermutigte ich mein störrisches Mädchen.

Sie zog sich widerwillig an und ich fuhr sie zur Schule. Sie hatte einen guten Tag – was die Sache stark vereinfachte. Trotzdem war sie immer noch böse mit mir als ich sie abholte und sie sagte mir, dass die Mütter ihrer Freundinnen „sich aus solchen Angelegenheiten heraushalten“ und sie ihre Töchter „ihre eigenen Freunde wählen lassen“. Das fand sie natürlich viel cooler, als mein dämliches Experiment. Und dann erzählte sie mir drei coole Dinge über Paula, die sie vorher noch nicht wusste.

Ich habe mich zwei Wochen später erneut telefonisch bei Paula’s Mutter gemeldet. Wir besprechen oft soviel Mist mit anderen Müttern, angefangen vom schlechten Schulessen, bis hin zu den unfähigen Lehrern. Für die wichtigen Dinge, wie z.B. Mobbing bleibt uns gar keine Zeit mehr. Kein Wunder also, dass es keine Verantwortlichkeit innerhalb einer Mobbing-Kultur gibt. Paulas Mutter versicherte mir, dass sie in den Freundeskreis aufgenommen worden war und es ihr gut ging.

Paulas Familie zog ein paar Jahre später in einen anderen Stadt. Meine Tochter weinte, als sie sich trennen mussten. Sie blieben über ihre Social-Media-Kanäle in Kontakt. Paula war und ist ein wirklich cooles Mädchen, das ihren Altersgenossen viel zu bieten hat. Aber der wahre Wert der Freundschaft zu Paula war offensichtlich für meine Tochter gedacht. Sie hat durch diese Erfahrung so viel gelernt.

Liebe Eltern, es reicht nicht, euren Kindern die Notwendigkeit von gesundem Essen beizubringen, ihr müsst sie dazu bringen, ein gesundes Gespür für gesellschaftliche Interaktion zu entwickeln.

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