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Ein Gastbeitrag von Melanie aus Ludwigshafen

Langsam aber sicher bin ich genervt von dem Spruch: „Ach, die Kinder werden ja so schnell groß. Uns bleibt so wenig Zeit und schon ziehen sie aus! Du musst jede Minute genießen!“ Dieser Spruch taucht alle paar Tage auf meiner Facebook Startseite auf. Aus welchem Grund auch immer, dies scheint die Zeit zu sein, an der das Internet beschlossen hat, uns unerbittlich daran zu erinnern, dass die Zeit, die wir mit unseren Kindern haben, vergänglich und endlich ist. Düdüüüüümmmm.

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Das wussten wir schon, vielen Dank. Es ist außerdem nahezu unmöglich, jeden einzelnen Moment genießen zu können. Ich weiß nicht, wie es ich geht aber ich für meinen Teil schaffe das nicht.

Ich lebe hier mit zwei entzückenden Teenagern unter einem Dach. Hinzu kommt noch ein kleiner Nachzügler, Lion ist sieben Jahre alt. Wir verstehen uns super, aber sie interessieren sich quasi für alles andere, als mit ihrer Mutter rumzuhängen. (Der 7-Jährige ist immer noch total in mich verknallt, das hilft ein wenig.) Ich kann sie nicht mehr zwingen, mit mir spazieren zu gehen oder Kekse zu backen. In ein paar Jahren werden sie alleine leben. Der Gedanke macht mich traurig und nostalgisch und, ja, ein Teil von mir wünscht sich, ich könnte die Zeit zurückdrehen.

Solange noch keine Zeitmaschine erfunden wird, solange wird das lediglich ein flüchtiger Wunsch bleiben. Selbst wenn man die Zeit zurück drehen könnte, weiß ich nicht, ob ich es auch wirklich tun würde.

Natürlich haben wir als Familie unter einem Dach nicht unendlich viel Zeit zusammen, wie gesagt, irgendwann ziehen sie aus und werden flügge. Es ist trotzdem nicht möglich, jede Minute mit ihnen genießen zu können. Wir tun alles für unsere Kinder aber irgendwann ist auch der letzte Mama-Akku mal leer. Manchmal parken wir unsere Kinder vor dem Fernseher, um einfach mal 20 Minuten Ruhe zu haben. Manchmal schmeiße ich meine Kinder vor die Tür, damit sie ne Runde im Garten spielen. Manchmal sind wir Mamas einfach mies drauf und nichts geht mehr. Berufstätige Eltern haben den Sommer nicht automatisch frei. Geschiedene Eltern sehen ihre Kinder nicht jeden Tag.

Der zusätzliche Druck „Jede Sekunde genießen zu müssen, weil ja bald eh alles vorbei ist“ macht es uns nicht wirklich leicht. „Alles geht ja so schnell vorbei!“ Ja, ich weiß! Jede Minute genießen zu können ist ein unmögliches Unterfangen, weil Mama zu sein eben nicht die ganze Zeit Spaß macht, egal wie verzweifelt wir es uns auch wünschen. Das Kleinkind schmeißt sich an der Kasse auf den Boden? Nicht angenehm. Der Teenager der gefühlte 800 Stunden das Bad benutzt und seinen sieben Jahre alten Bruder dazu zwingt, in ein Spülbecken zu pinkeln? Jupp, auch nicht gerade schön.

Wir gehen schon hart genug mit uns in Gericht, indem wir uns ständig fragen, ob wir auch ja alles richtig machen, da brauchen wir nicht noch die zusätzliche Schuld auf den Schultern, die uns mahnt, auch ja jede Sekunde genießen zu MÜSSEN.

Die Wahrheit ist, dass wir nicht alle Variablen, die die Kindheit unser Kindern definieren, kontrollieren können. Wir können unsere Kinder von Herzen lieben und sie fördern, sie führen und begleiten und sie solange unterstützen, solange sie uns brauchen. Wir können auch unser bestes geben, um unsere gemeinsame Zeit unvergesslich zu machen, aber es gibt Tage, an denen wir es einfach nicht so schön machen konnten, wie wir – oder sie – es uns gewünscht hätten. Indem Mütter nun ständig dazu aufgefordert werden, das beste aus jeder Minute mit unseren Kindern machen zu müssen, klingt das eigentlich danach, uns versteckt mitteilen zu wollen, dass alles, was wir tun, nicht gut genug ist. Lasst das doch bitte. Es nervt.

So viele Mamas tragen das Gefühl der Unzulänglichkeit mit sich herum, auch wenn sie ihr bestes bereits geben. Die Wahrheit ist aber: Wir sind nicht perfekt. Die Gefühle einer Mama sind nicht nur rosarot. Sie sind auch mal verzweifelt und traurig. Wir sollten uns wegen dieser Emotionen nicht schuldig fühlen müssen oder gar so tun, als wären sie nicht da, wir sollten nicht dauernd besorgt sein müssen, ob wir die Zeit mit unseren Kindern nicht noch besser gestalten könnten.

Heißt das, dass es keinen Sinn macht, die Zeit mit deinen Kindern zu genießen? Auf keinen Fall. Was ich sagen will, ist, dass du nicht das Gefühl haben sollst, dass du versagt hast, wenn die Zeit mit deinen Kindern mal weniger „unvergesslich schön“ war. Das kommt nämlich vor. Du wirst das Falsche tun oder sagen. Sie werden das Falsche tun oder sagen. Ein Tobsuchtsanfall am Eisstand kann durchaus ermüdend sein und trägt nicht gerade zu den unvergesslichen Momenten bei. Irgendwann finden sie andere Dinge spannender als dich.

Das ist in Ordnung.

Es macht dich nicht zu einer schlechten Mutter oder deine Kinder automatisch zu undankbaren Menschen. Es bedeutet nicht, dass du mit ihnen zusammen im Laufe der Jahre keine wunderbaren Erinnerungen geschaffen hast. Übrigens, die Chance für eine Mutter Erinnerungen zu schaffen endet nicht plötzlich und automatisch , wenn die Kinder 18 werden. Danach gibt es noch viele Jahre in denen wertvolle Erinnerungen geschaffen werden können. Wahrscheinlich wird es nie wieder so intensiv werden, wie in der Zeit, als sie noch klein waren aber dennoch wird es fröhlich und wunderbar werden.

Wenn es nach den Sprücheklopfern geht, dann bleiben mir noch genau zwei Sommer mit meinem 16-jährigen Sohn. Bis, ja, bis was eigentlich? Ich gehe stark davon aus, dass unsere Verbundenheit und unsere Liebe weitaus länger bestehen bleibt, als 18 Jahre.

So sehe ich das.

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