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Liebe Mama, ich bin jetzt schon drei Jahre alt und ich bin verdammt stolz darauf. Weißt du, drei Jahre alt zu sein ist wirklich toll, weil ich jetzt endlich an die Türgriffe komme und auch den Süßigkeitenschrank kann ich ganz alleine erklimmen. Mit meinem Hocker. Ich habe soviel dazu gelernt, Mami. Weißt du noch vor zwei Jahren? Da konnte ich noch nicht mal richtig laufen und jetzt renne ich dir schon davon. Ich kann toll hüpfen und im Kindergarten habe ich viele Freunde. Mami, ich möchte etwas ansprechen. Ich merke, wie du mich ganz oft nicht verstehst. In den letzen Tagen warst du sogar böse auf mich und deine Stimme war lauter als sonst. Auch ich verstehe dich oft nicht und irgendwie ist alles anders zwischen uns geworden. Oft sitzt du da und bist wütend auf mich. Dein schönes Gesicht hat dann viel mehr Falten als sonst und auch dein Mund lächelt nicht. Weißt du Mama, ich möchte dir heute etwas über mich erzählen.

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Ich habe in meinen Kopf plötzlich ganz viele Möglichkeiten entdeckt. Es gibt soooo viele Dinge, die ich jetzt unterscheiden kann. Es gibt unterschiedliche Tiere, Farben, Zahlen und ich habe eine Lieblingshose. Ich weiß manchmal gar nicht, was ich zuerst machen soll, weil alles einfach so spannend ist. Manchmal möchte ich gerne ein Buch vorgelesen bekommen und schon eine Minute später fällt mir ein, dass ich lieber Fußball spielen möchte. Oder ich bekomme Durst und normalerweise mag ich den roten Becher so gerne, aber der blaue glitzert schöner. Der grüne Becher hat einen Dino drauf, den liebe ich auch. Ich mag Kakao, aber Apfelsaft finde ich auch toll und beim Sprudelwasser kribbelt es so witzig in meinem Bauch. Diese ganze Dinge überfordern mich manchmal, Mami. Ich weiß dann gar nicht, für was ich mich entscheiden soll. Du verstehst mich dann ganz oft nicht und sagst, dass ich doch immer den grünen Becher wollte und du verstehst nicht, dass ich mich aber in dem Moment umentschieden habe.

Ich würde dir gerne erklären, was in mir vorgeht, aber meine Worte reichen dafür nicht aus. Dann werde ich wütend. Du bist auch wütend. Das macht mich noch wütender. Ich verstehe nicht, warum ich jetzt nur einen Becher haben darf. Dein Schrank steht doch auch mit ganz vielen Bechern voll und ich kann beobachten, dass du deinen Kaffee auch immer aus unterschiedlichen Bechern trinkst. Mami, du bist doch viel älter als ich und vielleicht weißt du schon viel besser, was für eine Entscheidung gut für dich ist. Ich muss das noch lernen. Ich weiß, dass ich es dir oft nicht leicht mache und es tut mir dann auch leid, weil du dann so traurig aussiehst. Ich wollte dich nicht verärgern, ich ärgere mich über mich selbst, ich würde gerne schon viel größer sein. Wer macht eigentlich, dass das alles so langsam geht, Mami? Wann werde ich endlich vier? Weiß ich dann, welche Entscheidung die beste ist?

Ich mag es, wenn wir viel Zeit miteinander verbringen. Wenn Papa dann noch mit dabei ist, fühle ich mich so wohl. Besonders am Wochenende bist du viel entspannter als sonst. In der Woche muss ich mich immer ganz doll beeilen und das ist anstrengend für mich. Mein Kleiderschrank ist voller Pullover, ich habe einen mit Autos drauf und einen mit Dinos und sogar einen mit Baggern. Ich kann mich nicht entscheiden, welchen ich am schönsten finde, weil sie alle so schön sind. Wenn es dann stressig wird und du dich für den Dino-Pulli entscheiden hast, es aber eigentlich ein Auto-Pulli-Tag ist, dann verstehst du nicht, warum ich mich vor Wut auf den Boden schmeisse. Ich möchte dir damit zeigen, dass ich meine eigene Entscheidung treffen möchte. Ich bin doch schon groß, Mami. Warum legst du mir nicht alle drei Pullover hin und fragst mich einfach welchen ich anziehen möchte? Ich schaffe das schon, glaub mir.

Mami, die Welt ist so groß. Die Welt ist so bunt und manchmal auch so laut. Vor drei Jahren war ich noch in deinem Bauch und jetzt bin ich schon so ein großer Junge. Ich habe gelernt, dass ich ein Paul bin. Ganz für mich alleine bin ich ein Paul. Eine Zeit lang dachte ich, ich gehöre zu dir, wie ein dritter Arm oder so. Aber hey, ich bin ein Paul! Und ich soll in dieser lauten Welt irgendwann ein ganz erwachsener Paul sein, ein Paul, der ohne dich leben kann und ohne Papi auch. Wie soll ich das denn jemals können, wenn die großen Menschen jetzt schon wütend werden und sogar schreien, wenn ich meinen Lieblingspulli anziehen will, aber nicht darf? Ich gebe zu, dass ich manchmal wirklich übertreibe, ich glaube, ich mag dann gerne wütend sein. Wut kribbelt auch ganz doll im Bauch und ich fühle mich dann stark wie ein Tiger. Nimm mich dann doch einfach in den Arm, Mami.

In deinem Arm fühlt sich meine Welt nämlich plötzlich gar nicht mehr so laut und groß an.

Mami, ich hab dich so lieb.

Dein Paul

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3 Kommentare

  1. Oh wie wunderschön! :‘) Meine Kleine wird im Juli 3 Jahre alt. Es gibt Tage,die sind wundervoll. Und Tage,da habe ich das Gefühl,wir reden nur aneinander vorbei. Manchmal fällt es mir schwer ruhig zu bleiben, manchmal schaffe ich es nicht. Und fühle mich dann schuldig. Vielleicht gelingt es mir in Zukunft an den schwierigeren Tage an Paul zu denken…

  2. Ich muß weinen, weil jedes Wort wahr ist und weh tut. Mein Paul ist gerade drei und es ist oft so verdammt schwierig. Hoffe ich werde es demnächst öfters aus Pauls Sichtweise sehen können, das würde vieles entspannter machen.

  3. Jedes mal wenn ich mir diesen Brief durchlese kommen mir die Tränen. Immer fallen mir dann kleine Situationen aus dem Alltag ein in denen mein 2,5 Jähriger und ich uns dort befinden.
    Seine 3 Becher vor denen wir 10 min stehen bevor er einen genommen hat oder die Diskussion am Wochenende im Supermarkt weil er lieber das Shirt mit Feuerwehrmann Sam wollte statt das mit Paw Patrol. Und mit einem mal komm ich mir nicht mehr seltsam vor, weil ich mit einem Kleinkind im Laden stand und darüber diskutiert habe welches Shirt das bessere ist und es stören mich auch die Blicke nicht mehr weil er sich durchsetzt und ich das Sam Shirt kaufe. Denn eigentlich ist es ja schön, das er schon seine eigene, kleine Meinung hat 🙂

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