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Ein Gastartikel von Bea aus Bremen

Ich erinnere mich noch sehr genau noch an die Tage und die Nächte, an denen die Schreie nie aufhörten. Die Schreie, die stundenlang durch unser Haus hallten. Ich erinnere mich an meine Angst, dass ich mein Baby nicht beruhigen konnte. Ich fühle den damaligen Schlafmangel quasi immer noch ganz tief verankert in meinem Körper. Es war so traumatisch, dass ich heute noch daran zu knabbern habe. Selbst jetzt, zwei Jahre später, bin ich immer noch nicht ganz darüber hinweg.

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Als ich mit unserer zweiten Tochter schwanger wurde, erwartete ich, dass es ein Kinderspiel werden würde, genau wie bei unserer ersten Tochter, die nur dann weinte, wenn sie Hunger hatte. Ich war sehr naiv. Unsere zweite Tochter war nämlich ganz und gar nicht wie unsere Erstgeborene und sie machte es von dem Moment an deutlich, als sie in diese Welt eintrat, denn schrie so laut, dass selbst die Hebamme erstaunt war. Schon im Krankenhaus schrie sie unentwegt, und auch als wir endlich zu Hause waren, hörte ihr Schreien fast 6 Monate lang nicht auf.

Nach ein paar Wochen ununterbrochenen Schreiens war ich so verzweifelt, dass ich erneut den Kinderarzt aufsuchte. Unser Kinderarzt erklärte mir, dass es sich um Koliken handelt und man leider auch nicht sagen kann, wann sie aufhören, geschweige denn, was sie verursachen. Es gibt viele Theorien darüber, was letztendlich Koliken verursacht: von Allergien über Verdauungsprobleme bis hin zu Nackenverspannungen bis hin zu Anpassungsschwierigkeiten nach der Geburt. Keine Erklärungen wurden allerdings jemals wissenschaftlich bestätigt. Mein Arzt war also keine große Hilfe, er erklärte mir, dass dies nur eine Phase sei, aus der unsere Tochter in ein paar Monaten „herauswachsen“ würde, und dass wir da einfach durch müssten.

Ich selber habe unzählige Stunden mit googeln verbracht und ich gab Unmengen von Geld aus: Von der elektronischen Wippe bis hin zu speziellem Milchpulver habe ich glaube ich alles probiert. NICHTS hat auch nur im Ansatz geholfen.

Nach ein paar Monaten wurde mein Alltag immer düsterer. Meine Tochter schrie und schrie…. Ich kam mir vor wie ein Zombie, ich weiß gar nicht, wie ich es geschafft habe, überhaupt einkaufen zu gehen, geschweige denn etwas zu kochen. Jeder Tag glich dem anderen. Es war grausam…..

Die Koliken belasteten die ganze Familie. Mein Mann und ich fühlten uns nonstop erschöpft und gleichzeitig waren wir mega gestresst und irgendwann wurden wir immer frustrierter und wütenden aufeinander, weil wir unsere Gefühle nicht an einem hilflosen Baby rauslassen konnten, was ja einfach nichts dafür konnte. Auch, wenn es eigentlich die Ursache für unseren Stress war. Mein 3-jähriges Mädchen, ein einst wildes kleines Mädchen, wurde zunehmend zurückhaltender und immer ruhiger. Man sah sie nur mit zugehaltenen Ohren in ihrem Zimmer sitzen und auch sie weinte viel. Es war uns allen „zu viel“.

Ich bin ein Mensch, der Lautstärke grundsätzlich kaum ertragen kann. Ich brauche mindestens einmal am Tag STILLE um mich herum, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Ich fühlte mich, als würde ich bald sterben und manchmal wollte ich es vielleicht sogar auch. Ich war deprimiert und unglücklich. Ich hatte noch keine starke Bindung zu meiner kleinen Tochter und tief in mir plagte mich die Angst, dass ich sie vielleicht gar nicht lieben werde können. Ich fühlte mich, als wäre das Leben, das ich lebte, kein lebenswertes Leben mehr, und ich begann mir oft vorzustellen, was passieren würde, wenn ich nicht mehr da sein würde. Alles fühlte sich düster und hoffnungslos an.

Es war unausweichlich: Ich brauchte dringend Hilfe. Mein Mann kam zur Unterstützung mit dazu, denn auch er sorgte sich um meine Psyche. Er selbst sagte, dass er so angeschlagen war, dass er schon beim kleinsten Mucks unserer Tochter innerlich so unter Stress geriet, dass es es kaum aushalten konnte.

Meine Hausärztin hörte mir zehn Minuten lang dabei zu, wie ich abwechselnd weinte und kaum Worte für mein so verändertes Leben finden konnte. Nach zehn Minuten attestierte sie mir eine postnatale Depression und verschrieb mir ein Psychopharmaka. Ich sollte nach zwei Monaten wieder kommen.

Die Tabletten haben tatsächlich geholfen. Die kreisenden Gedanken verschwanden und es wurde insgesamt heller in meinem Leben. Das Einzige, was letztendlich dafür sorgte, dass es mir besser ging, war jedoch das Ende der Koliken. So schnell, wie das Schreien mit dem Eintritt meiner Tochter in diese Welt begann, so hörte es plötzlich auf. Eines Tages war unser Haus plötzlich von einer magischen Stille erfüllt. Nach so vielen Monaten des Schreins war es eine Stille, die sich seltsam und fremd anfühlte, wenn auch sie so eine Erleichterung mit sich brachte.

Als weitere Wochen und Monate vergingen, fingen die Dinge langsam an, sich wieder so anzufühlen, wie wir uns das immer gewünscht hatten und all die dunklen Stunden wurden durch ein glücklich glucksendes Baby ersetzt, das wuchs und gedieh. Ich fing endlich an, mich hoffnungslos in meine zweite Tochter zu verlieben.

Fast zwei Jahre sind seit dieser Kolikphase nun vergangen, aber wenn ich mich an die Zeit in meinem Leben erinnere, dann weiß ich noch ganz genau, wie sich das alles anfühlte. Ein Baby zu bekommen, das an Koliken leidet, ist eine Erfahrung, die man wirklich nicht mit Worten beschreiben kann, man muss es selbst erlebt haben. Ich weiß, dass es Hunderte von anderen Müttern gibt, die derzeit genau dasselbe durchmachen müssen.

Ich möchte, dass du weißt: Ich kenne deinen Schmerz. Du bist nicht allein. Diese Phase deines Lebens wird vorübergehen und sie wird wieder verschwinden. Auch wenn es sich jetzt noch so anfühlt, als würde es nie aufhören, so glaub mir: Es hört wieder auf. Du machst das alles ganz großartig. Dein Baby braucht dich, also halte durch, denn all diese Schmerzen und Ängste werden bald verschwinden. Alles wird wieder gut, ich verspreche es dir.

 

 

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