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Unsere Tochter Luisa wurde im April 2015 geboren. Nach einer Fehlgeburt waren wir beide unbeschreiblich glücklich, als endlich unsere gesunde Tochter geboren wurde.
Die Fehlgeburt hatte mich ein wenig abgestumpft, diese unbeschwerte Freude, die alle vorher so detailliert beschrieben, stellte sich lange nicht ein. Nachdem
Meilensteine geschafft waren, wie das Ersttrimesterscreening und eine komplikationslose Geburt, kreisten meine Gedanken immer wieder darum, dass ich mich nicht „erholen“ dürfe von all den Ängsten. Plötzlicher Kindstod. Eine gute Mutter sein. Ganz lange und unkompliziert stillen. Diese großen Worte und romantischen Vorstellungen schwebten über mir wie ein Damoklesschwert. Die ersten Wochen waren hart. Das stillen klappte nicht, mein Kopf verbaute es mir, genießen zu können und mich fallen zu lassen. Luisa war ein anspruchsvoller Säugling und ich eine anspruchsvolle Mutter, die nach Perfektion strebte und nie dort ankam, wo ich sein wollte. Mein Mann kümmerte sich aufopferungsvoll um unsere Tochter, während mir oft alles zu viel wurde. Luisa musste immer getragen werden, fand schwer in den Schlaf. Stundenlang gingen wir auf und ab und oft verlor ich die Geduld und weinte bitterlich. So hatte ich das alles nicht erwartet. Die Wochen gingen ins Land und jeden Tag war ich stolz, mich gaaaanz langsam ein bisschen mehr einzufinden. Meine Bedürfnisse, die ich hinten anstellen musste, rückten immer wieder in den Vordergrund und ich dachte: es wird jeden Tag besser. Sie wird größer und das Leben spielt sich ein, wir finden einen gemeinsamen Rhythmus und irgendwann bin „ich“ mal wieder dran.

Dann kam der Donnerstag. Irgendwann im Juli. Ich hatte seit Wochen so ein komisches Gefühl. Luisa war mittlerweile 10 Wochen alt und wir sollten einige Wochen später groß kirchlich heiraten, nachdem wir im
Jahr zuvor wegen der Schwangerschaft mit Luisa nur klein gefeiert hatten. Ich sagte noch zu meiner Freundin: stell dir mal vor ich müsse auf unserer Hochzeit sagen „ich bin schwanger! Das geht doch gar nicht!“
Eher, um eine lustige Geschichte mit „gutem“ Ende erzählen zu können, ging ich in eine Drogerie und kaufte einen Schwangerschaftstest.
Zu Hause sagte mein Mann noch: „Du siehst nicht schwanger aus, beim letzten Mal sahst du definitiv schwanger aus!“ – und nachdem ich den Test gemacht hatte dauerte es exakt 10 Sekunden, bis die Linie dick und fett zu sehen war. Da stand ich, ein zehn Wochen altes Klebekind (so nenne ich Traglinge freundlich ;-)) auf dem Arm und ich fühlte mich, als bricht meine Welt zusammen. Das schaffe ich nicht. Noch so eine heftige Zeit kriege ich nicht gebacken. Ich war völlig verzweifelt und im selben Moment zerfressen vor Wut auf mich selber, dass ich mich nicht freuen konnte. Immerhin hatte ich selber eine Fehlgeburt gehabt und ein gesundes Kind war doch alles, was ich mir immer gewünscht hatte. Und auf einmal fühlte ich mich als wäre all das der größte Fluch auf Erden.

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Mit wem spricht man? Wir sind wie Aliens. Mütter, deren Kinder weniger als ein Jahr Altersabstand haben. Die trifft man nur ganz selten, ansonsten gehören die einem geheimen Club an.

Also verzweifelte ich. Meine besten Freundinnen, die zum großen Teil auch Kinder haben, versuchten mir Mut zu machen, aber wie lässt man sich Mut machen von Leuten, die das selber nicht erlebt haben und die das Ausmaß niemals kennen werden?
Die Monate zogen ins Land, wehmütig feierte ich meine Hochzeit, die doch so anders geplant war und verbrachte meine Flitterwochen schwanger in brütender Hitze, mein 5 Monate altes Kind schleppend. Immer wieder dachte ich „das wirst du nicht schaffen. Daran gehst du zu Grunde“.

Mittlerweile sah man die zweite Schwangerschaft und der Großteil der Kommentare war „Oh mein Gott, das wird SO heftig werden“. Ich lächelte solche Kommentare immer weg und ging nach Hause um zu heulen. Die
Monate gingen ins Land und Luisa musste immer noch getragen werden. Teilweise eine Stunde lang, um einzuschlafen. Ich hatte keine Rückbildung machen können und ich war körperlich am
Ende. Ich trug mein Kind mit wachsendem Bauch und verzweifelte gleichzeitig an der Last, die ich zu tragen hatte. Ich konnte mich nicht freuen und fühlte mich dem Kind in mir gegenüber so unfassbar schuldig.

Früh erfuhren wir, es wird wieder ein Mädchen. Und wir machten Scherze, dass wir die Klamotten ja dann exakt weiter verwenden könnten. Luisa war vom 10. April 2015 und Mädchen Nummer zwei war für den 24. März 2016 ausgezählt. Innerlich wuchs meine Angst vor diesem schier unerklimmbaren Berg immer mehr. Je weiter ich voranschritt, desto verzweifelter wurde ich.

Wie würde ich zwei Traglinge abends ins Bett kriegen? Wie mittags die Große hinlegen ohne dass die Kleine schreit? Wie würde das Stillen mit einem Kleinkind, was noch kein „warte“ versteht, klappen? Würde es mir wieder so gehen wie nach der ersten Geburt, dass ich meine Rolle einfach nicht finde, nicht für mich definieren kann? Ich empfand es, als stehe ich vor unlösbaren Aufgaben und niemand, der für mich greifbar war, konnte mich verstehen oder nachempfinden, was es bedeutete, zwei Jahre am Stück schwanger zu sein und sich über so viele potentielle Tretminen im Erziehungsdschungel Gedanken machen zu müssen. Viele von uns sind mit einem Kind genug überfordert im ersten Jahr und oftmals beschwerten sich andere Mütter bei mir, wie anstrengend doch ihr Alltag mit einem Kind (und dabei unschwanger!) sei.

Der Jahreswechsel nahte und Luisa war immer noch ein Kind, was viel Aufmerksamkeit brauchte. Sie forderte mich und brachte mir gleichzeitig so viel bei. Aber die gleiche Kraft direkt noch mal aufbringen? Dem zweiten Kind genau so gerecht werden? Das schien mir unmöglich.

Am ausgerechneten Termin platzte die Fruchtblase. Ich fühlte mich wie ein Profi, was Geburt angeht, nur nicht für alles, was danach kommt. Ich hatte zwei traumhafte Geburten und ich bin unendlich dankbar, dass ich die zweite Geburt so klar erleben konnte. Ohne Angst vor dem Ereignis, sondern einfach nur dankbar, dass ich diesmal wusste, was passiert.

Mara wurde geboren und innerhalb von 48 Stunden war ich verzweifelt. Das Stillen war wieder schwer und für mich einfach furchtbar und obwohl ich mir vorgenommen hatte, dass ich diesmal kurzen Prozess machen würde, ohne mich wochenlang zu quälen, fiel mir die Entscheidung schwer. Bis die Nachtschwester der Station im Krankenhaus mir etwas wichtiges sagte: sie werden mit zwei so kleinen Kindern zu Hause so viele Baustellen haben. Grämen sie sich nicht mit etwas, was sie vom
Kopf her nicht hinbekommen. Seien Sie glücklich und die Kinder sind es auch.

Mara bekommt die Flasche und ist ein glückliches, zufriedenes und vor allem sattes Kind. (Zum Thema Stillmafia könnte ich Bücher verfassen, aber das ist eine andere Geschichte…)

Zu Hause angekommen war ich verwundert, dass Mara einfach so schläft. Sie liegt bei uns und auf einmal schläft sie. Ohne tragen. Ohne stundenlanges hoffen und bangen auf fünf Minuten, um nur mal eben aufs Klo zu rennen als sei der Teufel hinter einem her. Sie schläft. Sie trinkt und ist satt. Sie ist ein Baby, was jeder, der so kurz hintereinander zwei Kinder zur Welt gebracht hat, als ein Geschenk Gottes betrachtet. Jeder, der uns kennt, freut sich mit uns und ist immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich Kinder doch seien können.

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Mara schenkt mir ruhige Tage, so dass ich ihre große Schwester in Ruhe ins Bett bringen kann. Sie schenkt mir, dass sie meine Geduld nicht bis zum Äußersten reizt. Grade so, als wisse sie, dass ich ihre Unterstützung brauche, wenn ich ihre Schwester versorgen muss, die es nicht versteht, dass man sich nun auch noch um jemand anderen kümmern muss.

Das tolle ist: Kinder in diesem Alter kennen keine Eifersucht. Luisa liebt ihre Schwester, sie schaukelt sie in der Wippe wenn sie müde ist, sie versucht die Flasche zu halten und sie küsst sie, wenn sie ins Bett geht. In solchen Momenten geht mir das Herz auf. Beide Kinder kommen nicht in den Genuss der ungeteilten Aufmerksamkeit und so sehr mich das manchmal schmerzt, dass ich in hektischen Momenten Mara auf dem Boden liegend füttern muss, weil ich jederzeit Luisa hinterher rennen können muss, die läuft, seitdem Mara geboren wurde, so sehr bin ich stolz auf mich und meine Mädchen, dass wir unser Bestes geben, eine unbeschreibliche Situation zu meistern bei der in meiner Vorstellung noch vor wenigen Monaten jeder nur den Kürzeren ziehen konnte.

Vor einigen Wochen fragte mich eine Freundin, die nur ein Kind hat, ob man seine Kinder anders liebt. Ob man eins lieber hat als das andere. Und ich habe lange darüber nachgedacht. Nein. Ich liebe meine Kinder genau gleich. Aber ich liebe sie für unterschiedliche Dinge. Ich liebe Luisa, weil sie der verrückte Querkopf ist, der ich als Kind war. Sie ist mein Abziehbild und ich sehe so viel von mir in ihr. Sie ist anspruchsvoll und sie treibt mich an den Rand meiner Kräfte, aber ich glaube, ich bin ne ziemlich coole Frau geworden, also alles richtig so. Sie hat mich so oft an meine Grenzen gebracht und mir, der Ungeduld in Person, Geduld beigebracht. Sie grinst mich wie ein Teufel an mit ihren 15 Monaten und ich weiß, mir wird noch so einiges blühen. Aber es gibt niemanden auf der Straße, der an uns vorbei geht, ohne zu sagen „oh Gott ist die süß“ und mir platzt die Brust vor Stolz.

Mara liebe ich, weil sie mir gezeigt hat, wie unbeschreiblich schön die ersten drei
Monate mit einem
Säugling sein können. In meiner Erinnerung war es die Hölle und sie zeigt mir jeden Tag, dass es entspannt sein kann, dass ich entspannt sein darf und wie sehr man seine Ängste überkommen kann. Sie ist genügsam und obwohl ich jeden Abend ins Bett gehe und ihr zuflüstere „es tut mir so leid, dass ich heute so wenig Zeit nur mit dir verbringen konnte“ während sie neben mir liegt, wacht sie morgens auf und schenkt mir das breiteste Lächeln, was man sich vorstellen kann.

Dieser Artikel ist für alle Frauen, denen es so ging wie mir. Die verzweifelten. Die dachten, sie schaffen es nicht. Die anspruchsvolle Schläfer zu Hause haben. Ich hatte tolle Freunde und eine tolle Familie und doch hätte ich mir gewünscht, beim Googlen nach „zwei Kinder unter 1“ mehr zu finden, was mir Mut gemacht hätte. Meine Kinder sind 16 Tage im Jahr gleich alt und ich würde für kein Geld der Welt tauschen wollen.

Irgendwann hoffe ich, dass sie dies lesen können und wissen, dass ich alles getan habe, was möglich war, um ihnen gerecht zu werden. Es wird nicht immer klappen, aber es ist machbar. Die schrecklichen Tage, die ich mir ausgemalt habe, sind weit weniger schlimm als befürchtet und am Ende des Tages denke ich oft: du bist schon ganz schön tough, wieder ein Tag gepackt. Meine Kinder lieben sich jetzt schon und ich will mir gar nicht erst ausmalen, wie toll die nächsten Jahre werden. Luisa ist heute 15 Monate alt, Mara 13 Wochen.

Für meine beiden kleinen großen Wunder.

Und für meinen Mann, ohne den ich wahrscheinlich wahnsinnig geworden wäre. Weil er oftmals, nach einem für mich harten Tag, hier sitzt und mich fragt „und was machen wir jetzt für dich, was brauchst du, damit du runter kommen kannst?“

Und für meine Freundin, L. – ohne deren tägliche telefonische Seelsorge ich mit Sicherheit sehr viel schwerer durch diese zwei Jahre voller auf und ab, Angst und Hoffnung, Freude und Verzweiflung gegangen wäre.

Und zum Schluss: für mehr Kinder. Mit kurzem Abstand. It’s a hell of a ride. But it’s worth it! 🙂

Julia Lampe

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7 Kommentare

  1. Meine beiden Jungs sind 15 Monate auseinander (21 Monate und 5.5 Monate) ich habe mich oftmals auch in dem Text wieder gefunden. Mein großer ist der, der ganz viel Aufmerksamkeit braucht und der kleine ist der gechillte. Schläft zwar auch noch nicht so super und meine Nächte sind extrem kurz, aber ich weiß es wird besser…

  2. Hi, so toll deine Geschichte, ich fühle in jeder einzelnen Zeile richtig mit 🙂 ich hab meinen Sohn am 20.01.15 und meine Tochter am 14.12.15 bekommen. Es ist nicht immer leicht, aber sobald sie schlafen und ich in ihre Engelsgesichter schaue, ist der ganze Stress vergessen. Und das aller schönste ist, dass sie gemeinsam aufwachsen 🙂

  3. Danke!!! Meine beiden Zuckerschnuten sind 19 Monate auseinander und ich kann bei dem Text sooo mitfühlen, weil’s bei mir fast genauso ist… hätte nie gedacht dass Kinder so unterschiedlich sein können und trotzdem sooo perfekt, auf ihre eigene Art und Weise… Wünsche dir noch alles Liebe…

  4. Hallo.
    Unsere beiden sind 15 Monate auseinander. Aber bei uns ist es eher anders herum. Die große war ein totales Bilderbuch vorzeigebaby. Schlafen essen schlafen. Der kleine kam und lag erst mal auf der neo und wir pendelten 3 Wochen zwischen zu Hause und Klinik (denn mit einem kleinen Kind zu Hause kann man nicht einfach 3 Wochen in der Klinik bleiben beim Baby) er hat uns die letzten Monate schon gezeigt, wie ein Kind auch anders sein kann. Aber wenn ich deine Beschreibung lese, kann ich immer noch von Glück reden. Den sturen bockkopf den er ab und zu mal hat, kann ich aushalten. Heute sind sie 25 Monate und 10 Monate und Nummer 3 kommt dieses Jahr im November also wieder 15 monate. Mal sehen was die kommende Zeit bringt.
    Aber dir wünsche ich mit deinen Mädels ganz viel Kraft für die kommende Zeit und alles gute

  5. Ich bin so dankbar für so einen wunderschönen geschriebenen Text! Meine Mädels sind 12.Monate auseinander ( 04.10.13 und 18.10.14) ich freue mich das ich nicht die einzige bin die so eine oder mehrere Situationen durchgemacht hat 😉 vielen lieben Dank für so tolle Worte!

  6. Wie schön zu hören, dass es anderen ebenso ergangen ist. Meine zwei großen Jungs sind 10 Monate auseinander!
    Und ich kann nur sagen, es gibt nichts besseres. Natürlich gibt es anstrengende Zeiten, ab die schönen Zeiten überwiegen in großem Maße.
    Sohnemann Nr. 3 kam nach 7 Jahren dazu und es läuft wie von selbst. Ich denke, mann muss nicht immer alles perfekt machen. Vieles ergibt sich mit der Zeit und man lernt dazu. Solange man mit sich und dem was man tut zufrieden ist und die Kinder glücklich sind ist die Welt doch in Ordnung 😉 !

  7. 13 Monate abstand hier – bub 28.05.08 & Mädchen 18.07.09 (und weil´s so schön war dann auch noch ein mädchen obendrauf 23.03.13). ich schreib das nur damit du auch hörst, dass wenn sie größer werden es noch viel schöner wird. sie haben ähnliche Interessen, unterschiedliche stärken & sind oft gleichauf in ihrer Entwicklung. sie sind sich so nah wie Zwillinge, sie unterstützen sich & haben durch den Altersabstand doch ein „eigenes leben“, in der schule spätestens. mein sohn hat praktisch nicht geschlafen, die 1. tochter wirklich viel geweint. nicht alle war leicht, doch das ist es in keiner Konstellation. und es war schön genug, um noch ein 3. oberndrauf zu setzen 🙂

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